Amtsjubiläum in Russland Wladimir Putin ist seit 20 Jahren Präsident

Moskau · In der Silvesteransprache 1999 erklärte Boris Jelzin überraschend Wladimir Putin zum Interimspräsidenten. Für ihn eine glückliche Wahl, und das Land wurde „von den Knien wieder auf den Füße“ gestellt, wie es oft heißt. Aber es ist eine Erfolgsgeschichte mit Fragezeichen.

 Das Bild zeigt Wladimir Putin 2007 während einer Jagd. (Archivfoto)

Das Bild zeigt Wladimir Putin 2007 während einer Jagd. (Archivfoto)

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Der 31. Dezember lieferte Russland die politische Sensation des Jahres 1999. „Ich habe eine Entscheidung gefällt, lange und qualvoll darüber gegrübelt“, erklärte Präsident Boris Jelzin in seiner Neujahrsansprache. „Ich trete zurück.“ Danach rechtfertigte der 68-Jährige seinen Beschluss, seine Politik, sich selbst. Erst am Ende, beiläufig, erklärte Jelzin, gemäß der geltenden Verfassung habe er Regierungschef Wladimir Putin mit der Ausübung der präsidialen Pflichten betraut. Putin galt damals als Favorit des launischen Präsidenten, aber der hatte seit dem Vorjahr vier Premiers verschlissen. Putin war der fünfte, bis zu den im Juni anstehenden Präsidentschaftswahlen schien noch viel möglich. Aber Jelzins Rücktritt zog die Wahl ganz verfassungsgemäß auf Ende März vor, Putin ging mit dem Amtsbonus des geschäftsführenden Staatschefs ins Rennen. Silvester 1999 wurde er Russlands Prinzregent, sein mächtigster Mann. Er ist es bis heute geblieben.

  Der frühere russische Ministerpräsident Boris Jelzin (l) gratuliert seinem Nachfolger Wladimir Putin (r). Am 09. August 1999 berief der damalige russische Präsident Boris Jelzin Wladimir Putin, da noch Direktor des Inlandsgeheimdienstes FSB, zum neuen Regierungschef.  (Archivfoto)

Der frühere russische Ministerpräsident Boris Jelzin (l) gratuliert seinem Nachfolger Wladimir Putin (r). Am 09. August 1999 berief der damalige russische Präsident Boris Jelzin Wladimir Putin, da noch Direktor des Inlandsgeheimdienstes FSB, zum neuen Regierungschef. (Archivfoto)

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In gewisser Weise war Putin ein Notnagel. „Die Präsidentschaftswahlen rückten näher, Jelzin war unter Zeitdruck“, sagt der Politologe Michail Winogradow. „Er suchte einen Nachfolger, der den Staatsapparat zusammenhielt, aber vor allem garantierte, dass es keine Repressalien gegen ihn und seine Familie geben würde.“ Jelzin hatte damals Glück, Putin ließ wirklich nie Ermittlungen gegen den Ex-Präsidenten und seinen Anhang zu.

Für viele russische Liberale aber ist Putins Wahl ein tragischer Fehler. „Unter jedem anderen Nachfolger wäre Russland ein anderes Land geworden“, sagt der Historiker Andrei Subow. „Nicht dass alles perfekt gewesen wäre, sie hätten wohl den Oligarchen-Kapitalismus der 1990er Jahre weiterentwickelt, vielleicht in Richtung der Ukraine. Aber sie hätten kaum alle demokratischen Institute beseitigt, sondern den Staatssicherheitsdienst als Organisation.“

  Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) begrüßt den russischen Präsidenten Wladimir Putin (r)  im August 2018 vor dem Gästehaus der Bundesregierung. (Archivfoto)

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) begrüßt den russischen Präsidenten Wladimir Putin (r) im August 2018 vor dem Gästehaus der Bundesregierung. (Archivfoto)

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Allerdings war der späte Jelzin schon früher von westlich gesonnenen Jungreformern wie Boris Nemzow abgerückt. Vor dem gelernten Staatssicherheits-Mann Putin testete er mit Jewgeni Primakow und Sergei Stepaschin schon zwei frühere Geheimdienstler als Premierminister. Und viele Experten glauben, andere Anwärter hätten noch autoritärer regiert als Putin: „Primakow etwa war gut mit Saddam Hussein befreundet, was unter Putin nach zehn Jahren passierte, wäre unter Primakow nach einem halben Jahr geschehen“, sagt der Politologe Juri Korgonjuk.

Wladimir Putin distanziert Russland vom Westen

Bis heute steht die Frage im Raum, ob die USA und Europa mit einer rücksichtsvolleren Politik gegenüber Russland Putin hätten auf Westkurs halten können. Vermutlich nicht. Sicher schufen der Ausstieg der USA aus dem ABM-Vertrag über das Verbot von Antiraketensystemen 2002 und die Aufnahme der baltischen Staaten in die Nato 2004 bei dem neuen Präsidenten Russlands kein Vertrauen.

Aber Putin zeigte schon vorher, dass er unter Menschenrechten und Pluralismus etwas ganz anderes versteht als der Westen. Sein Sieg über das rebellierende Tschetschenien kostete laut Amnesty International 25.000 Zivilisten das Leben. 2001 ließ er den TV-Sender NTW gleichschalten, den einzigen landesweiten Oppositionskanal. Und bereits im März 2000 hatte der Interimspräsident erklärt: „Es herrscht ein sehr harter Konkurrenzkampf nicht nur zwischen den Firmen auf dem Markt, sondern auch zwischen den Staaten in der internationalen Arena.“ Damals, sagt der italienische Russlandhistoriker Giuseppe D‘Amato, habe Putin Russland wirtschaftlich und politisch noch für zu schwach gehalten, um offen auf Konfrontationskurs gegenüber den USA und der Nato zu gehen. Das sollte sich ändern.

Unter Putin erlebte Russland ein rohstoffgetriebenes Wirtschaftswunder, mit dem Ölpreis vervielfachte sich das Bruttoinlandsprodukt von 260 Milliarden Dollar im Jahr 2000 auf 2,2 Billionen Dollar 2013, die Durchschnittseinkommen stiegen um 50 Prozent jährlich. „Putin hatte Glück, aber es gibt auch Länder, die schwimmen in Rohstoffen und dort herrscht trotzdem Bürgerkrieg“, sagt Korgonjuk.

Putin schaffte Ordnung, er stabilisierte die Wirtschaft, monopolisierte sie dabei, große Staatskonzerne wie Gazprom oder Rosneft werden von alten Spezis aus der Petersburger Stadtverwaltung gelenkt. Und der Druck der Staatsorgane beschränkt die Konkurrenzfähigkeit kleinerer Betriebe bis heute. Auch politisch monopolisierte Putin Russland, selbstherrliche oder politisch ambitionierte Provinz- oder Wirtschaftsfürsten wurden ebenso ausgeschaltet wie zu kritische Medien. Die liberalen Oppositionsparteien flogen aus der Duma. Immer neue Gesetze drangsalieren unbotmäßige Bürgerinitiativen als „ausländische Agenten“, Straßendemonstranten als gewalttätige Extremisten.

70 Prozent der Russen stehen hinter ihrem Präsidenten Wladimir Putin

„Putin errichtet ein autoritäres System“, bilanziert Korgonjuk, „und viele betrachten das als Verdienst.“ Nach der jüngsten Umfrage des Meinungsforschungszentrums Lewada befürworten 70 Prozent der Russen Putins Tätigkeit als Präsident. Allerdings wollen 53 Prozent der unter 24-Jährigen auswandern. Die vaterländische Armee gilt wieder als schlagkräftig, Russland mischt militärisch in der Ostukraine, Syrien und Libyen mit, mehr oder weniger offen, Putin demonstriert stolz Russlands neue Wunderwaffen. „Er hat Russland von den Knien wieder auf die Füße gestellt“, ist eine der Staats-TV-Parolen, die auch einfache Russen gern wiederholen. Und doch endet Putins Erfolgsgeschichte mit Fragezeichen.

Jelzin galt als charismatischer Straßenpolitiker, am Ende aber als halb gescheiterter Reformpolitiker, herz- und alkoholkrank. Putin wirkte von Anfang an wie ein Antijelzin, ein Eishockeyspieler und Judo-Kämpfer, der täglich schwimmt und nicht trinkt, eher Reaktionär als Reformer, aber rational bis zur Gerissenheit, einer mit politisch glücklichem Händchen. Nur ist Putin nicht mehr das drahtige Sexsymbol seiner ersten Amtszeiten. Anfang Dezember, beim Normandie-Gipfel in Paris, humpelte er. Nächstes Jahr wird er 68 Jahre alt, so alt wie Jelzin bei seinem Rücktritt.

Und wie Boris Jelzin vor 20 Jahren könnte er bei der Wahl seines künftigen Nachfolgers mehr Wert auf dessen persönliche Loyalität legen als auf politische Überzeugungen. „Für Putin geht es um reine Machterhaltung, Hauptsache, der Mann ist ihm bedingungslos ergeben und kann die Wahlen gewinnen“, sagt Politologe Korgonjuk. Historiker Subow aber hofft auf den Pegel der Geschichte. Der sei schon zu Zaren- und Sowjetzeiten bei sehr vielen Machtwechseln in die entgegengesetzte Richtung ausgeschlagen. „Putin hat das Land in solch eine Sackgasse getrieben, dass es für jeden Nachfolger nur eine Variante gibt: Wende um 180 Grad.“

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