Interview mit britischem Botschafter „Wir müssen Freunde bleiben“

Bonn · Wie sieht Großbritanniens Rolle neben der EU nach dem Brexit aus? Der britische Botschafter in Berlin, Sebastian Wood, beantwortet diese und weitere Fragen zur Zukunft der Briten im GA-Interview.

Kommt es überhaupt zum Brexit?

Sebastian Wood: Ja. Das Unterhaus hat den Wählern versprochen, ihre Entscheidung zur EU-Mitgliedschaft umzusetzen. Das muss die Regierung jetzt auch tun, sonst untergraben wir die gesamte Demokratie in Großbritannien. Wir werden die EU verlassen.

Die Ex-Premierminister Tony Blair und John Major sprechen von einer „Tyrannei der Mehrheit“. Immerhin 48 Prozent der Briten waren gegen den Brexit. Ist das nicht ein starker Grund, die Austrittsdetails in einem zweiten Referendum zur Abstimmung zu stellen?

Wood: Mit mehr als einer Million mehr Brexit-Befürwortern gibt es einen erheblichen Abstand zum anderen Lager. Das ist die politische Realität.

Welche EU wollen die Briten?

Wood: Da wir entschieden haben, auszutreten, liegt diese Frage nicht mehr in erster Linie in unserer Verantwortung. Aber es ist natürlich unser Interesse, dass die EU erfolgreich und stark bleibt und durch unseren Austritt nicht geschwächt wird. In der verbleibenden Zeit als Mitglied werden wir uns für eine offenere und wettbewerbsfähigere EU einsetzen.

Wo sehen Sie konkreten Reformbedarf in Brüssel?

Wood: Das beim Brexit-Referendum dominierende Thema war die Einwanderung oder Personenfreizügigkeit. Unsere Botschaft lautet, dass wir in der Hinsicht mehr Kontrolle brauchen. Es ist gleichzeitig auch wichtig, auf die Interessen unserer Partner zu achten. Die Verhandlungen sollten wir als kooperativ sehen.

Die Botschaft aus Brüssel lautet: Es gibt für Großbritannien keinen Zugang zum EU-Binnenmarkt ohne Personenfreizügigkeit. Wie kann es da zu einer Einigung kommen?

Wood: Es braucht jetzt Lösungen, die beide Seiten bedenken. Ich hoffe, dass wir alle die Verhandlungen nicht als Auseinandersetzung oder Null-Summen-Spiel betrachten. Es geht darum, die engstmögliche, wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Großbritannien und der EU auszuarbeiten. Wir müssen Freunde bleiben. Das ist der Kernpunkt für mich.

Soll eine Freihandelszone mit Kanada den Zugang zum EU-Binnenmarkt kompensieren?

Wood: Es gibt zurzeit buchstäblich Hunderte Termine in Whitehall zum Brexit und viele Spekulationen. Am wichtigsten ist es, Premierministerin Theresa May zuzuhören. Sie wird die Verhandlungen führen. Uns ist es wichtig, dass Unternehmen, die jetzt schon miteinander handeln, dies auch in Zukunft frei tun können. Die Premierministerin hat klar gemacht, dass wir beim Austritt keine Modelle von der Stange wollen. Wir können keine Lösung á la Norwegen oder Schweiz finden. Diese Länder waren nicht 40 Jahre in der EU und sind wirtschaftlich auch viel kleiner als Großbritannien. Wir brauchen maßgeschneiderte Lösungen. Das Handelsabkommen zwischen Kanada und der EU ist indes ein interessantes Beispiel ...

Wofür?

Wood: Es beweist, dass es doch freien Warenverkehr ohne Personenfreizügigkeit geben kann, dass es Zugang zu einem Binnenmarkt gibt, ohne alle vier Grundfreiheiten unbegrenzt akzeptieren zu müssen. Ich finde die Idee ein wenig übertrieben, dass die vier Grundfreiheiten der EU untrennbar miteinander verknüpft sind.

Verstehen Sie, dass es eine Grundspannung zwischen Deutschen und Briten gibt, weil die Briten Europa vor allem als Freihandelszone, die Deutschen Europa vor allem als Friedensprojekt sehen?

Wood: Ich würde es anders formulieren. Wir sind alle von Geschichte geprägt. Die Insellage Großbritanniens hat dazu geführt, dass wir seit 900 Jahren nicht erobert worden sind. Wir hatten keine französische Revolution, keinen 30-jährigen Krieg und auch nicht die Verheerungen, die zwei Weltkriege auf dem Kontinent angerichtet haben. Das heißt, dass wir wenige Umbrüche in der Geschichte hatten und die Briten ihren Institutionen, dem Unterhaus und dem Gericht, sehr vertrauen. In Deutschland ist das vielleicht anders, viele Institutionen sind neu und erst nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden. Die Bindung ist nicht so groß wie bei uns. Für Briten ist es schwierig zu verstehen, warum unsere wichtigsten Institutionen in größeren EU-Einrichtungen aufgehen, ja, mit ihnen verschmelzen sollen. Die Idee einer engeren politischen Union mit der EU findet kaum Unterstützung. Für uns war die EU nie ein politisches Projekt.

Machen Sie sich Sorgen vor den möglichen, wirtschaftlichen Konsequenzen nach dem Brexit?

Wood: Die Premierministerin hat klar gemacht, dass wir ein offenes Land sind. Globalisierung führt indessen zu Widerständen in der Bevölkerung. Das ist der Grund, unsere Politik neu zu gestalten. Wir sind seit Jahrzehnten jedoch eine der offensten Wirtschaftsnationen der Welt – und das wollen wir auch bleiben.

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