Coronavirus in den USA Warum die USA in der Krise in Nord und Süd gespalten sind

Washington · Die USA streiten über Lockerungen während der Corona-Pandemie. Während der Norden allenfalls kleine Schritte wagt, preschen die Südstaaten voran. Die Nation ist geografisch und politisch gespalten.

Widersetzte sich den Behörden: Friseurin Shelley Luther aus Dallas hielt ihren Salon offen. (Foto: AP)

Widersetzte sich den Behörden: Friseurin Shelley Luther aus Dallas hielt ihren Salon offen. (Foto: AP)

„Wenn wir ans Telefon gehen, haben wir auch geöffnet“, sagt die Frau, die im Salon à la Mode den Hörer abnimmt. So banal die Feststellung ist, es klingt auch trotzig, offenbar soll es sogar ein wenig rebellisch klingen. Eigentlich müsste der Friseursalon im Norden von Dallas geschlossen sein, so wie alle anderen in Texas auch. Besitzerin Shelley Luther hält sich nicht daran. Seit Ende April ignoriert sie das Verbot, nachdem sie sich fünf Wochen lang daran gehalten hatte. Deshalb sitzt sie an diesem Dienstag vor einem Richter namens Eric Moyé, mit Maske vor Mund und Nase, zwei Meter neben ihrem Anwalt, und wird nach kurzer Verhandlung zu sieben Tagen Haft verurteilt.

Für jeden Tag, an dem sie sich der Aufforderung widersetzte, ihren Salon wieder zu schließen, muss sie einen im Gefängnis des örtlichen Sheriffs verbringen. Für jeden Tag, an dem sie gegen die Regeln verstieß, hat sie 500 Dollar Bußgeld zu zahlen. Luther, begründet Moyé, habe das, was sie für richtig halte, über die Anweisungen gewählter Amtspersonen gestellt. Sie habe aus purem Eigennutz gehandelt. „Ich muss Ihnen widersprechen, mein Herr, wenn Sie sagen, ich sei egoistisch“, erwidert die 46-Jährige. Sie könne es sich, wie auch alle anderen, die bei ihr arbeiteten, einfach nicht leisten, zu Hause zu bleiben. Finanzhilfe vom Staat habe sie bislang nicht erhalten, folglich sei ihr keine andere Wahl geblieben, als wieder zu öffnen.

Mit Symbolik überfrachteter Streit

Zugleich ist es ein mit Symbolik überfrachteter Streit. Shelley Luther hat die Order zur Schließung nicht nur missachtet, sie hat das Schreiben vor ein paar Tagen in Fetzen zerrissen. Für „Open Texas“, eine Initiative, die sich eine schnelle Öffnung auf die Fahnen schreibt, ist sie seither eine Heldin des Widerstands gegen einen Staat, der hart erkämpfte Freiheitsrechte einschränkt.

Im Kampf gegen Corona wurden in den USA weitreichende Beschränkungen verhängt. Strenge Restriktionen, bis auf wenige Ausnahmen landesweit verfügt. Jetzt, da man über die Rückkehr zur Normalität streitet, spaltet sich die Republik. Während Staaten im besonders hart getroffenen Nordosten – New York, New Jersey, Massachusetts – kleine Schritte wagen, prescht der Süden voran. Während Staaten, in Demokraten regieren, in aller Regel vorsichtig agieren, drücken diejenigen, deren Gouverneure der Republikanischen Partei angehören, aufs Tempo. Es gibt Ausnahmen, doch grob skizziert ist dies das Muster.

Georgia und Texas teilweise zurück zur Normalität

Am weitesten ist Georgia gegangen. Dort darf man wieder im Restaurant essen, ins Kino gehen, sofern die Abstandsregeln eingehalten werden, und sich professionell die Haare schneiden lassen. In Texas dürfen Gaststätten wieder Gäste empfangen. Bei den Friseursalons hat der konservative Gouverneur Greg Abbott einen Rückzieher gemacht, wohl auch unter dem Eindruck der Proteste Shelley Luthers: Ursprünglich sollte die Sperre bis Mitte Mai gelten, nun wird sie eine Woche früher kassiert.

Donald Trump wiederum überlässt es den Lokalregierungen weitgehend selbst, das Procedere für ihre Bundesstaaten zu regeln. Damit kann er zurückkehren in seine liebste Rolle des Kritikers, der Zensuren verteilt, ohne selbst Verantwortung zu übernehmen. Mal rügt er Kalifornien und Michigan für Maßnahmen, die er für zu streng hält. Mal tadelt er Georgia, weil es zu schnell lockert.

Richtige Balance finden

Anthony Fauci, Amerikas angesehenster Epidemiologe, sprach kürzlich bei CNN von der richtigen Balance, die es zu finden gelte. Es sei eine „sehr schwierige Wahl“, vor der man jetzt stehe. „Wie viel Leid können Sie akzeptieren, um eher früher als später zurückzukehren zu irgendeiner Form von Normalität?“ Wenn man beginne, das zu überspringen, was bei der Eindämmung des Virus geholfen habe, wenn man das Gebot des „social distancing“ nicht mehr ernst nehme, lade man förmlich ein zu einem Rückschlag, warnte Fauci. Laut einer Umfrage der University of Maryland teilt eine Mehrheit der Amerikaner, zumindest für den Moment, die Bedenken ihrer medizinischen Experten. 74 Prozent sind dagegen, den Besuch eines Lokals schon jetzt wieder zu erlauben. 78 Prozent würden sich auch dann nicht in eine Gaststätte setzen, wenn die Restriktionen aufgehoben wären.

Amerika, sagt der Ex-Gouverneur New Jerseys, habe seine jungen Männer im Zweiten Weltkrieg nach Europa und in den Pazifik geschickt, wohl wissend, dass viele nicht lebend zurückkehren würden. „Wir haben entschieden, dieses Opfer zu bringen, weil es darum ging, die amerikanische Lebensart zu verteidigen. In ganz ähnlicher Weise müssen wir heute erneut für den ‚American Way of Life“ einstehen.“ Was sei ein Leben denn wert, fragt Christie, wenn die Menschen weder zur Arbeit gehen noch für ihre Familien sorgen könnten, wenn ihre Häuser womöglich zwangsversteigert würden und sie sich Woche für Woche in die Warteschlangen vor den Tafeln einreihen müssten, um etwas zum Essen zu haben.

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