Vorwurf brachte Filmemache hinter Gitter Ukrainischer Kinoregisseur vor russischem Gericht

MOSKAU · Bisher hat Oleg Senzow nur einen Film gedreht. "Gamer", ein Streifen über einen jungen, talentierten und süchtigen Computerspieler aus einer ostukrainischer Provinzstadt. Ein einfacher Film über Ehrgeiz, Einsamkeit und Enttäuschung.

Beim Abschlachten feindlicher Monster hinter dem Bildschirm scheint der "Gamer" sich selbst zu finden, er siegt und siegt, fährt zur Weltmeisterschaft, wird Zweiter, kehrt wieder zurück und muss entdecken, dass sein Leben jetzt keineswegs mit mehr Sinn erfüllt ist.

Ein Film auch über sich selbst. Senzow war in seiner Jugend selbst Gamer, später Inhaber eines der letzten Computerspielsalons in der Krim-Hauptstadt Simferopol. Er begann Erzählungen zu schreiben, dann seinen Film zu drehen, viele der Laiendarsteller waren seine Freunde. Die 20 000 Dollar, die der Film kostete, bezahlte er aus eigener Tasche. Erzautorenkino.

"Ich hatte keine Kontakte zum Kino, keine Ausbildung, keine Erfahrung", erzählte Senzow später. "Aber irgendwie musste ich in diese Welt hinein." Sein "Gamer" kam 2011 heraus, lief auf dem Internationalen Rotterdamer Kinofestival, danach auf 30 weiteren Filmfestspielen in der Ukraine, Russland und Europa, gewann mehrere Preise. Ein Erfolg. Aber Erfolg interessierte den stillen Hünen mit der Miene eines Bäckermeisters nicht wirklich. "Ich drehe Kino, alles andere interessiert mich wenig."

2013 begann er seinen zweiten Film: "Nashorn", über eine postsowjetische Kindheit. Aber die große Politik kam dazwischen, im März 2014 annektierte Russland die Krim handstreichartig. Senzow gehörte zu der Minderheit der Krimrussen, die für einen Verbleib in der Ukraine auf die Straße gingen, half von den Russen belagerten ukrainischen Militärs mit Lebensmitteln, Geld und Benzin, damit sie zumindest in die Heimat ausreisen konnten. Nach einer Protestaktion in Simferopol am 11. Mai 2014 wurde er von Beamten des russischen Sicherheitsdienstes FSB festgenommen. Laut FSB plante Senzow mit mehreren Komplizen Bombenanschläge gegen Denkmäler und Büros der russischen Staatspartei "Einiges Russland" im Auftrag des "Rechten Sektors", einer nationalistischen ukrainischen Bewegung.

Der Filmemacher ist in eine neue Wirklichkeit geraten. Die Welt der russischen Untersuchungsgefängnisse, deren Insassen nur Promille-Chancen auf Freispruch haben. Einer seiner Mitangeklagten gab zu Protokoll, Senzow wollte vor dem Simferopoler Bahnhof ein Lenindenkmal in die Luft jagen, um die Abtrennung der Krim von Russland zu provozieren. Der Prozess gegen die mutmaßlichen Terroristen begann gestern in Rostow, Senzow drohen bis zu 20 Jahre russisches Gefängnis.

Berühmte Kollegen, darunter Wim Wenders, fordern seine Freilassung. Persönliche Bekannte, wie die Theaterregisseurin Galina Dschikajewa nennen die Anklage absurd. "Es geht darum, auf der Krim ein Feindbild zu schaffen, eine terroristische Gefahr." Oder wie es das russische Kulturportal Colta formuliert: "Die Krim ist zum Versuchsfeld für Massenhetze gegen Andersdenkende geworden."

Am Ende des bisher einzigen Films Senzows sitzt sein "Gamer" mit einer Flasche Wodka auf den Bordstein, betrinkt sich, geht zum Fluss, wirft Computer-Maus und Kopfhörer ins Wasser. Ein Film, über einen, der nach sich selbst sucht. Senzow selbst hat seine Bestimmung schon gefunden. Im Moskauer Untersuchungsgefängnis schrieb er ein neues Drehbuch. Aber es könnte lange dauern, bis er einen Film daraus machen kann.

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