Parlament Türkisches Parlament stimmt vorerst für Immunitätsverlust

Istanbul · Zahlreichen türkischen Abgeordneten droht der Entzug der Immunität und damit die Strafverfolgung. Die Mehrheit des Parlaments steht hinter diesem Vorhaben der Regierungspartei. Nötig ist aber noch ein zweiter Schritt.

 Das türkisches Parlament in Ankara streitet über Aufhebung von Immunitäten von mehr als einem Viertel der Abgeordneten.

Das türkisches Parlament in Ankara streitet über Aufhebung von Immunitäten von mehr als einem Viertel der Abgeordneten.

Foto:  Ayhan Arfat

Nach wochenlangem Streit hat eine breite Mehrheit des türkischen Parlaments in einer ersten Runde für die Aufhebung der Immunität von mehr als einem Viertel der Abgeordneten gestimmt.

Die nötige Zweidrittelmehrheit für eine direkte Verfassungsänderung zu diesem Zweck wurde am Abend in Ankara jedoch nicht erreicht, wie der Sender CNN Türk berichtete.

Die entscheidende Abstimmung folgt am Freitag. Stimmen dann zwei Drittel - also 367 Abgeordnete - für die Änderung, wird die Immunität von 138 Abgeordneten einmalig aufgehoben. Wird diese Marke nicht erreicht, ist bei mindestens 330 Stimmen noch der Umweg über ein Referendum möglich.

Die islamisch-konservative Regierungspartei AKP hatte den Antrag auf Verfassungsänderung eingebracht, der sich vor allem gegen die prokurdische Oppositionspartei HDP richtet. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hatte dazu aufgerufen, die Immunität der HDP-Abgeordneten aufzuheben. Er wirft ihnen vor, der "verlängerte Arm" der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK im Parlament zu sein.

Mit einer vorübergehenden Verfassungsänderung soll nun einmalig die Immunität von 138 Abgeordneten aufgehoben werden, gegen die entsprechende Anträge vorliegen. In der ersten Abstimmungsrunde am Dienstag stimmten 348 Abgeordnete nach Angaben von CNN Türk dafür, 155 dagegen. Hinzu kamen acht Enthaltungen.

Von der Aufhebung der Immunität wären alle vier im Parlament vertretenen Parteien betroffen. Besonders schwer träfe die Maßnahme aber die HDP. 50 ihrer 59 Abgeordneten soll vor allem wegen Terrorvorwürfen die Immunität entzogen werden. Damit wäre der Weg für eine Strafverfolgung frei.

Der HDP-Abgeordnete Ziya Pir befürchtet, dass Parlamentarier seiner Partei nach einem Aufheben der Immunität festgenommen werden. "Das wäre eine Katastrophe nicht nur für unsere politische Arbeit, sondern für den Rechtsstaat und die Demokratie in der Türkei", sagte Pir am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur. "Ich weiß nicht, was das in den Kurdengebieten für dramatische Auswirkungen haben wird." Pir gehört zu den Abgeordneten, deren Immunität aufgehoben werden soll.

Viele Anschuldigungen gegen die HDP gehen auf Reden von Abgeordneten zurück, bei denen sie etwa für kurdische Autonomie eintraten. Sollte ihre Immunität aufgehoben werden, könnten sie gemäß den umstrittenen Anti-Terror-Gesetzen der Türkei angeklagt werden.

Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu wandte sich vor der Abstimmung erneut gegen die EU-Forderung, die Anti-Terror-Gesetze seines Landes zu ändern. "Zu sagen, ändert die Terrorgesetze für die Visafreiheit, bedeutet, den Terror zu unterstützen", sagte er nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu in Wien.

Die Änderung der Anti-Terror-Gesetze ist eine der noch offenen Bedingungen der Europäischen Union, bevor die Visumpflicht für Türken bei Reisen in den Schengen-Raum aufgehoben werden kann. Nach dem Willen der EU soll die Türkei die bislang recht weit gefasste Definition von Terrorismus umgestalten, damit die Gesetze tatsächlich der Verfolgung von Terroristen dienen und nicht gegen politische Gegner missbraucht werden können. Erdogan lehnt jede Änderung ab.

Die Visumfreiheit gehört zum Flüchtlingspakt, den die EU mit der Türkei geschlossen hat. Darin verpflichtet sich die Türkei unter anderem, illegal in Griechenland eingereiste Flüchtlinge und Migranten wieder zurückzunehmen.

Der Flüchtlingspakt wird auch Thema beim Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Istanbul am kommenden Sonntag und Montag sein, bei dem sie auch mit Erdogan zusammentreffen dürfte.

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