Bundesverfassungsgericht Türkischer Wahlkampf in Deutschland kann verboten werden

Karlsruhe/Berlin · Der Streit um Auftritte türkischer Politiker ist diplomatisch heikel. Die Verfassungsrichter in Karlsruhe sehen darin eine politische Entscheidung. Die Führung in Ankara wirft Deutschland nun auch "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" vor.

Die Bundesregierung kann die heftig umstrittenen Wahlkampf-Auftritte türkischer Regierungsmitglieder in Deutschland verbieten. Das stellten die Richter des Karlsruher Bundesverfassungsgerichts am Freitag klar.

Im Rahmen einer abgewiesenen Verfassungsbeschwerde erklärten sie, dass weder das Grundgesetz noch das Völkerrecht ausländischen Staatsoberhäuptern und Regierungsmitgliedern einen Anspruch gebe, nach Deutschland zu reisen, um amtliche Funktionen auszuüben.

Türkische Minister hatten zuletzt in Deutschland mehrfach für die Verfassungsreform von Präsident Recep Tayyip Erdogan werben wollen, die ihm deutlich mehr Macht verleihen würde. Darüber können im April auch 1,4 Millionen in Deutschland lebende Türken abstimmen.

Deutsche Kommunen hatten den Ministern aus Sicherheitsgründen aber Auftrittsorte verweigert. Am Sonntag hatte Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan Deutschland deshalb "Nazi-Praktiken" vorgeworfen. Die Beziehungen zwischen den Nato-Partnern Deutschland und Türkei sind nun auf einem Tiefpunkt.

Bei einem Auftritt am Freitagabend in Köln schlug der türkische Sportminister Akif Cagatay Kilic allerdings versöhnliche Töne an. Er bedankte sich für das Kommen deutscher Medien und appellierte an sie, sich um ein besseres Verständnis der Putschnacht in der Türkei zu bemühen. Das türkische Volk habe damals durch sein mutiges Eingreifen verhindert, dass die Putschisten Demokratie und Rechtsstaat abgeschafft hätten, sagte Kilic vor etwa 400 Besuchern der Veranstaltung zum Putschversuch.

Der in Nordrhein-Westfalen aufgewachsene Politiker sagte auf Deutsch: "Ich glaube, es ist sehr wichtig, dass wir heute Abend hier in Deutschland zusammenkommen können." Ausdrücklich dankte er auch der Stadt Köln. "Ich glaube, dass unsere deutschen Freunde von hier etwas mitnehmen werden." Vor und nach seiner Rede wurden Filme gezeigt, die die Niederringung der Putschisten priesen und Erdogan feierten.

Die Bundesregierung plant auch nach dem Karlsruher Beschluss keine Einreiseverbote. Die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer verwies in Berlin auf die hohe Bedeutung der Meinungsfreiheit. "Was wir von anderen fordern, sollten wir eben selber leben."

Vize-Ministerpräsident Nurettin Canikli wiederholte Erdogans Nazi-Vorwurf am Freitag. Er nannte es "äußerst beunruhigend", dass "die Praktiken der Nazis und des Nationalsozialismus" wieder auftauchten. Dabei hatte sich Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) nach einem Treffen mit seinem Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu Cavusoglu am Mittwoch in Berlin weitere Nazi-Vergleiche verbeten. "Es gibt Grenzen, die man nicht überschreiten darf", warnte Gabriel. Eine Reaktion der Bundesregierung auf den neuen Nazi-Vergleich gab es aber zunächst nicht.

Zudem warf Canikli Deutschland und anderen EU-Ländern "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" vor. Er begründete dies mit der angeblichen Unterstützung, die "allen voran Deutschland, Holland und Österreich" Terroristen zukommen ließen, die in der Türkei Unschuldige ermordeten. Derartige Vorwürfe zielen in der Regel auf die auch in Deutschland verbotene Terrororganisation PKK.

Ob Erdogan selbst einen Auftritt in Deutschland anstrebt, war zuletzt unklar. Die Karlsruher Richter merken in ihrem Beschluss (Az. 2 BvR 483/17) aber an, dass Wahlkampf-Auftritte immer von der Zustimmung der Bundesregierung abhängen. Politiker, die hier "in amtlicher Eigenschaft und unter Inanspruchnahme ihrer Amtsautorität" auftreten wollen, können sich demnach nicht auf Grundrechte berufen. Würde ihnen der Auftritt untersagt, sei das eine außenpolitische Entscheidung im Verhältnis zweier souveräner Staaten. Das impliziert, dass ein Verbot nach Auffassung der Richter zumindest keinerlei rechtlichen Bedenken begegnen würde.

Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht sprach mit Blick auf die Entscheidung von "dankenswerter Klarheit". "Die Bundesregierung muss jetzt endlich Farbe bekennen und darf die Bürgermeister von Städten und Gemeinden nicht länger mit dem Problem allein lassen", sagte sie. "Die Bundesregierung macht bewusst von ihren Möglichkeiten keinen Gebrauch, die Werbung für eine autoritäre Türkei bei uns zu unterbinden. Das ist nun klar", sagte FDP-Parteichef Christian Lindner der "Heilbronner Stimme"(Samstag). "Es ist ein falsches Verständnis von Toleranz, den Gegnern der Meinungsfreiheit zu gewähren."

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