Währungskrise in der Türkei Türkische Lira im freien Fall

Istanbul/Washington · Es war ein Katastrophentag für die Türkei und die Landeswährung Lira: Der Finanzminister will Märkte und Investoren beruhigen, doch sein Schwiegervater - Präsident Erdogan - wirft dem Westen einen "Wirtschaftskrieg" vor. Und dann twittert auch noch Trump.

 Ein Mitarbeiter einer Wechselstube in Ankara zeigt türkische Lira und US-Dollar.

Ein Mitarbeiter einer Wechselstube in Ankara zeigt türkische Lira und US-Dollar.

Foto: Mustafa Kaya/XinHua

Nach einer Eskalation in der Krise zwischen den Nato-Verbündeten Türkei und USA hat sich der Verfall der türkischen Landeswährung Lira rasant beschleunigt.

Die Lira fiel am Freitagnachmittag auf ein Rekordtief: Für einen Dollar wurden 6,87 Lira fällig. Ein von Finanzminister Berat Albayrak vorgestelltes Maßnahmenpaket für die angeschlagene Wirtschaft überzeugte Investoren nicht.

Albayrak versprach, dass die Regierung eine "unabhängige Geldpolitik" voll unterstützen werde. Albayrak ist der Schwiegersohn von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan, der im Frühjahr eine stärkere Einflussnahme der Regierung auf die Geldpolitik der Zentralbank angekündigt hatte, was im Widerspruch zu Albayraks Aussagen stünde.

Albayrak sagte, die Regierung wolle das Vertrauen in die Lira stärken und werde die Inflation effektiv bekämpfen. Wie genau das geschehen soll, ging aus der vage gehaltenen Präsentation nicht hervor.

Während Albayraks Rede heizte US-Präsident Donald Trump die Währungskrise in der Türkei bewusst weiter an. Er schrieb am Freitag auf Twitter: "Ich habe gerade eine Verdopplung der Zölle auf Stahl und Aluminium hinsichtlich der Türkei bewilligt." Die Beziehungen zur Türkei seien "nicht gut". Trump verwies ausdrücklich darauf, dass die Lira "schnell gegenüber unserem sehr starken Dollar abrutscht!"

Die Regierung in Ankara kündigte umgehend Vergeltung an. "Allen Schritten gegen die Türkei wird wie bislang die notwendige Antwort gegeben werden", teilte das Außenministerium mit. "Die USA sollten wissen, dass sie mit solchen Sanktionen und Druck keine Ergebnisse erzielen werden."

Die USA fordern die Freilassung des in der Türkei festgehaltenen US-Pastors Andrew Brunson und weiterer amerikanischer Staatsbürger. Trump hatte deswegen vergangene Woche Sanktionen gegen den türkischen Innenminister Süleyman Soylu und gegen Justizminister Abdülhamit Gül verhängt. Damit werden mögliche Vermögen der Minister in den USA eingefroren, außerdem dürfen US-Bürger keine Geschäfte mit ihnen machen. Erdogan erließ daraufhin ebenfalls Sanktionen gegen US-Minister, die aber weitgehend symbolisch sein dürften.

Die Affäre um Brunson hatte zum Absturz der Lira stark beigetragen. Hinzu kam, dass Erdogan genau jene Gruppen, die der Finanzminister beruhigen wollte, am Freitag vor den Kopf stieß: In einer Rede im nordtürkischen Bayburt machte er den Westen für den Währungsverfall verantwortlich. Der Präsident sprach erneut von einem "Wirtschaftskrieg" und rief die Bevölkerung dazu auf, Dollar und Euro in die Landeswährung umzutauschen. Solidarität werde die wichtigste Reaktion auf den Westen sein. Die Krise sei "künstlich".

Auch nach dem Trump-Tweet wurde Erdogan nicht vorsichtiger. In einer zweiten Rede sagte er kaum verhohlen auf die USA bezogen, dass Versuche, die Türkei zu schikanieren, nirgendwohin führen würden.

Die Ursachen für die Lira-Krise sind sowohl politisch als auch wirtschaftlich und eng verquickt. Der Türkei-Repräsentant der deutschen Wirtschaftsförderungsgesellschaft Germany Trade and Invest (GTAI), Necip Bagoglu, verweist vor allem auf ein "Glaubwürdigkeitsproblem" bei Investoren. Jeder wisse, dass es nur eine Instanz im Lande gebe, die Dinge entscheide - Erdogan. Dieser habe über Jahre deutlich gemacht, wo er wirtschaftspolitisch stehe.

Erdogan lehnt Zinserhöhungen ab, um die Inflation zu bekämpfen, die inzwischen die 15-Prozent-Marke überstiegen hat. Mit dieser Haltung widerspricht er diametral der gängigen Wirtschaftslehre. Am Freitag sagte er an die Adresse der Befürworter von Zinserhöhungen: "Ihr werdet es nicht schaffen, diese Nation in die Knie zu zwingen."

Teil des Problems ist nach Ansicht von Experten auch, wie Erdogan Schlüsselposten besetzt hat. Da sei es mehr um Loyalität als Expertise gegangen, kritisierte der Türkei-Fachmann Wolf Piccoli am Freitag auf Twitter. Finanzminister und Erdogan-Schwiegersohn Albayrak ist nicht als Wirtschaftsexperte bekannt.

Türkei-Experte Timothy Ash schrieb auf Twitter über den Absturz der Lira: "Wahnsinn. Wo ist die Zentralbank? Glaubwürdigkeit jetzt total zerstört. Sie müssen das in den Griff kriegen oder Platz machen für ein neues Team, das den Job beherrscht."

Investoren hätten neue Projekte in der Türkei schon vor einiger Zeit "auf die lange Bank" geschoben", sagte ein westlicher Diplomat. Andere gehen. Am Mittwoch hatte der deutsche Energieversorger EWE bestätigt, dass er sein Unternehmen in der Türkei verkaufen wolle. Sobald ein Interessent "einen akzeptablen Preis" biete, werde EWE sich vom türkischen Geschäft trennen.

Türkische Firmen sind besonders betroffen. Fachleute warnen, dass viele türkische Kreditnehmer auf Euro oder Dollar laufende Kredite nicht mehr bedienen könnten. GTAI-Vertreter Bagoglu sagte, er habe mit dem Chef einer türkischen Firma telefoniert, die Kugellager für die Industrie importiere und ihre Geschäfte nun ausgesetzt habe. Man wolle dort nun abwarten und beobachten, wo die Sache hingehe. Die Firma habe wegen der massiven Kursschwankungen keine "gesunde Kalkulationsgrundlage für Preise mehr gesehen", sagte Bagoglu.

Bemerkungen wie die von Staatspräsident Erdogan werden das Vertrauen nicht vergrößern. Bei einer Ansprache in der Schwarzmeerstadt Rize beschwor er in der Nacht zu Freitag Gott. "Vergesst nicht: Wenn sie (die USA) Dollar haben, dann haben wir unseren Gott."

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