Nach Verhaftungen Türkische HDP beschließt weitgehenden Parlamentsboykott

Istanbul · Die pro-kurdische HDP beklagt nach der Verhaftung ihrer Abgeordneten den "schwärzesten Angriff in der Geschichte unserer demokratischen Politik". Die Partei warnt vor einer "Diktatur" in der Türkei - und reagiert mit einer drastischen Maßnahme.

 Die zweitgrößte Oppositionspartei in der Nationalversammlung in Ankara teilte mit, sie ziehe sich zunächst aus allen Gesetzgebungsverfahren zurück.

Die zweitgrößte Oppositionspartei in der Nationalversammlung in Ankara teilte mit, sie ziehe sich zunächst aus allen Gesetzgebungsverfahren zurück.

Foto: Stringer/dpa

Aus Protest gegen die Verhaftung ihrer Vorsitzenden und zahlreicher weiterer Abgeordneter hat die pro-kurdische HDP einen weitgehenden Boykott des Parlaments der Türkei beschlossen.

Die zweitgrößte Oppositionspartei in der Nationalversammlung in Ankara teilte am Sonntag mit, sie ziehe sich zunächst aus allen Gesetzgebungsverfahren zurück. Über das weitere Vorgehen werde sie mit ihren Anhängern beraten.

Der HDP-Abgeordnete Ziya Pir sagte der Deutschen Presse-Agentur, eine denkbare Option sei die Aufgabe der 59 Mandate der Partei im Parlament. Vorerst werde die Fraktion sich aber weiter treffen. Die HDP nannte die Verhaftungen den "umfassendsten und schwärzesten Angriff in der Geschichte unserer demokratischen Politik".

Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan bezeichnete die HDP-Abgeordneten am Sonntag erneut als verlängerten Arm der kurdischen Arbeiterpartei PKK, die als Terrororganisation verboten ist. "Wenn Sie sich nicht wie ein Abgeordneter, sondern wie ein Terrorist verhalten, dann werden Sie wie ein Terrorist behandelt", sagte er in Istanbul. Niemand in der Türkei stehe über dem Gesetz.

Am Freitag war gegen die HDP-Vorsitzenden Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag sowie gegen sieben weitere Abgeordnete der Partei wegen Terrorvorwürfen Untersuchungshaft verhängt worden. Am Samstag kamen außerdem der Chefredakteur der regierungskritischen türkischen Zeitung "Cumhuriyet", Murat Sabuncu, und acht seiner Mitarbeiter wegen Terrorvorwürfen in Untersuchungshaft.

Erdogan wies internationale Kritik sowohl an der jüngsten Verhaftungswelle als auch an seinem Regierungsstil zurück. Er sagte: "Es kümmert mich überhaupt gar nicht, ob sie mich einen Diktator oder Ähnliches nennen. Das geht zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus. Wichtig ist, was mein Volk sagt."

Der türkische EU-Minister Ömer Celik lud die Botschafter der EU-Staaten in Ankara für Montag zu einem Treffen ein. Bei dem Arbeitsfrühstück solle es um die "neuesten Entwicklungen" in der Türkei gehen, meldete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu. Die Verhaftungen sind in der EU auf scharfe Kritik gestoßen.

Der deutsch-türkische Abgeordnete Pir sagte zu dem weitgehenden Rückzug aus dem Parlament: "Wir werden nicht am Plenum und nicht an den Ausschüssen teilnehmen." Die HDP-Fraktionssitzungen im Parlament sollten aber weitergeführt werden. Fraktionschef Idris Baluken gehört zu den Abgeordneten, die in Untersuchungshaft sitzen.

Pir war nach seiner Festnahme am Freitag wieder freigelassen, aber mit einem Ausreiseverbot belegt worden. Er sagte am Sonntag: "Wir werden uns zurückziehen und in den nächsten zwei, drei Wochen mit der Bevölkerung und den demokratischen Kräften in der Türkei diskutieren, wie wir weitermachen. Dann entscheiden wir. Wir halten uns alle Optionen offen." Denkbar seien auch "eine Rückkehr zur parlamentarischen Arbeit oder die Aufgabe der Mandate". Er fügte hinzu: "Wir geben die Entscheidung an unsere Wähler ab."

Am Samstagabend setzte die Polizei nach einer Kundgebung der HDP in Istanbul Wasserwerfer, Tränengas und Plastikgeschosse ein, wie Teilnehmer berichteten. Auf Plakaten forderten Demonstranten "Demokratischen Widerstand gegen jede Art von Putsch" und "Fasst unsere Vorsitzenden nicht an". Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan geht im Ausnahmezustand mit harter Hand gegen Kritiker vor.

Sowohl die Festnahmen der HDP-Abgeordneten als auch das Vorgehen gegen die Journalisten riefen international Kritik hervor. Die "Cumhuriyet"-Mitarbeiter werden beschuldigt, die PKK und die islamische Gülen-Bewegung unterstützt zu haben. Erdogan macht den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen für den Putschversuch von Mitte Juli verantwortlich. Gülen weist das zurück.

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