Kommentar Terroranschlag - Stich ins Herz

Mitten ins Herz. Genau dort, an seiner Lebensader, wurde Frankreich getroffen beim Anschlag auf die Redaktion des Satiremagazins "Charlie Hebdo". Mitten ins Herz - so haben es Präsident Hollande und Premierminister Valls ausgedrückt.

Und so empfinden es die Franzosen. Das Land steht unter Schock, seit es erfahren musste, dass man hier nicht ungestraft Satire betreiben kann. Bei den Politikern herrscht Zurückhaltung, solange die Fahnen auf Halbmast hängen. Erzrivalen rufen zum Zusammenstehen auf gegenüber dieser unberechenbaren Bedrohung, die von innen kommt: Denn die Täter sprechen perfekt Französisch und dürften wohl französische Dschihadisten sein. Zumindest auf die beiden Hauptverdächtigen trifft dies zu.

Ausnahmsweise brachte Staatschef Hollande die Dauer-kritik an seiner Person zum Verstummen, indem er schnell, klar und entschlossen reagierte. Es klingt zynisch, aber diese Krise kann eine Chance für ihn sein, sich als der vertrauenserweckende Landesvater zu präsentieren, den die Franzosen in ihrem Präsidenten sehen wollen. Und damit eine Chance für das Land, sich auf das zu besinnen, was es zusammenhält - oder das herauszufinden.

Im Appell an seine Landsleute, sich der Bedrohung durch barbarische Terroristen gemeinsam und furchtlos entgegenzustellen, erinnerte Hollande an den früheren norwegischen Premierminister Jens Stoltenberg nach dem Massenmord von Anders Breivik in Oslo und auf der Ferieninsel Utoya 2011. Dieser erntete viel Bewunderung für seinen Aufruf zu Offenheit und Toleranz anstatt Ausgrenzung und Verbitterung.Dass dies in Frankreich gelingt, erscheint fraglich.

Zu instabil war der soziale Friede schon vor dem Attentat. Der Erfolg von Le Pens Front National basiert auf der weitverbreiteten Angst vor Einwanderern und der Ablehnung der Muslime und ihrer religiösen Praktiken. Bestseller-Autor Michel Houellebecq greift diese öffentlichkeitswirksam auf, indem er in seinem Roman "Unterwerfung" das Drohbild eines islamischen Gottesstaates in Frankreich entwirft, Einführung der Scharia und der Polygamie inklusive. Was in einer politischen Fiktion unterhaltsam überzeichnet klingen mag, ist die sehr reale Furcht vieler Franzosen.

Denn in der Tat gibt es ein Problem mit der Integration von Einwanderern - und das seit Jahrzehnten. Viele leben in tristen Vorstädten, die gerade jungen Menschen kaum Jobs und Perspektiven bieten. Nachweislich stellen Unternehmen ungern Bewerber aus einschlägigen Vierteln und mit nicht-französischen Namen ein. Mit dem revolutionären Losungswort der "Gleichheit" aller Franzosen ist es nicht weit her.

Von diesem Gefühl des Ausgeschlossenseins bis zur Kriminalität ist es nur ein Schritt - und das erleichtert Islamisten das Rekrutieren von Nachwuchs, der bereit ist, auch die Waffen gegen sein eigenes Land zu richten. Zwar dienen die Verfehlungen in der Einwanderungspolitik keinesfalls als Rechtfertigung für Terror und Gewalt. Aber sie können ein Element der Erklärung sein. Das muss berücksichtigen, wer eine Lehre aus der Attacke ziehen will. Frankreich erreicht die Einheit nur, wenn es jedem Bürger dieselben Chancen bietet. Nur dann wird dieser schwere Schlag es stärker machen.

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