Kommentar zur Weltbevölkerung Sorgenkind Afrika

Meinung | Bonn · Ein Schlüssel für weniger Menschen liegt auch bei den Industriestaaten. Häufig genug zerstört deren linke Hand, was die rechte gerade aufgebaut hat, kommentiert GA-Redakteur Wolfgang Wiedlich.

 Die Weltbevölkerung steigt unaufhaltsam.

Die Weltbevölkerung steigt unaufhaltsam.

Foto: dpa

Seit vielen Jahrzehnten weiß die Welt: Wenn sie das Weltbevölkerungswachstum nicht radikal abbremst, erschwert das die Lösung aller chronischen Probleme der Menschheit – von Armut und Ernährung über Energie und Umweltraubbau bis zu Klimawandel und Flüchtlingen. Viele Entwicklungsländer haben die Illusion erlebt, wie es ist, auf einer Rolltreppe nach oben zu fahren, die tatsächlich jedoch nach unten führt. Die kolossale Kraft von zu vielen Menschen und ihren Bedürfnissen hat viele kleine Fortschritte in zahlreichen Ländern wieder zunichte gemacht.

Der Weltbevölkerungstag ist immer auch ein Tag, der an die große Wucht kleiner Zahlen erinnert. Sinkt die Kinderzahl pro Frau in den nächsten Jahrzehnten nicht von heute 2,5 auf 2,0, schnellt die Weltbevölkerung bis zum Jahr 2100 nicht auf 11,2, sondern bis zu irrwitzigen 16,1 Milliarden hoch.

Vor allem Afrika ist ein Hotspot des Wachstums, folglich war der Problemkontinent auch Thema auf dem G20-Gipfel. Doch der große Wurf gelang – wieder einmal – nicht, denn ein mit Millionen gefüllter „Marshall-Plan“ schafft keine Wende. Afrikas multifaktorielles Krankheitsbild besteht aus Korruption, Misswirtschaft, Bürger- und Stammeskriegen und der Ignoranz nationaler Eliten gegenüber der eigenen Bevölkerung.

Ein politisches Antibiotikum gegen die von nackter Gier getriebenen Parasiten wurde bisher noch nicht gefunden. Erst danach könnte der Aufbau am Gemeinwohl orientierter Gesellschaften beginnen, in denen nicht die Zahl der Kinder über die Armut im Alter entscheidet. Dazu gehört auch, dass Afrikas Länder – zum Beispiel – aufhören, nur Kakao- oder Kaffeebohnen zu exportieren, sondern eigene Wertschöpfungsketten aufbauen.

Ein Trend bleibt indes ungebrochen: Die Hoffnungslosigkeit treibt Menschen überall vom Land zu Orten, die mehr Chancen und Sicherheit verheißen. Stadt, Millionenmetropole, Megacity. Dort lebt inzwischen jeder zweite Mensch. Das bringt Vor- und Nachteile: Einerseits puscht die Urbanisierung den Klimawandel, andererseits senkt sie die Zahl der Kinder pro Frau. Aber die Kleinbauern in den Hotspots der Menschenvermehrung spüren schon heute, dass sie sich auf den Regen nicht mehr verlassen können.

Über allem schwebt die uralte Frage: Wie viele Menschen trägt die Erde? 10, 11, 13 Milliarden? Sie wurde stets mit „theoretisch ja“ beantwortet, sofern die Welt ihre Ernte – pflanzliche Kalorien – gerecht verteilt. Macht sie aber nicht, sondern treibt Handel, wettet an Börsen auf Weizen, schickt 40 Prozent der Welternte für Preiswert-Schnitzel in die Ställe und exportiert überschüssige Hähnchenschenkel nach Afrika, wo sie billig verkauft werden und Bauern zur Aufgabe zwingen. Ein Schlüssel für weniger Menschen liegt also auch bei den Industriestaaten. Häufig genug zerstört deren linke Hand, was die rechte gerade aufgebaut hat.

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