Razzia gegen ’Ndrangheta-Clan So gingen die Mafiosi in Deutschland vor

Mehr als 160 Festnahmen in Italien und mehreren deutschen Bundesländern: Ein kriminelles Mafia-Kartell soll Pizzeria-Betreiber zum Kauf von Lebensmitteln gezwungen haben.

 Der Screenshot aus einem Video der italienischen Gendarmerie zeigt Carabinieri-Einsatzwagen am frühen Morgen bei einer Razzia gegen den 'Ndrangheta-Clan Farao-Marincola in Italien.

Der Screenshot aus einem Video der italienischen Gendarmerie zeigt Carabinieri-Einsatzwagen am frühen Morgen bei einer Razzia gegen den 'Ndrangheta-Clan Farao-Marincola in Italien.

Foto: Carabinieri/dpa

Original kalabrische Leckereien aus mafiaeigenen Betrieben für deutsche Gäste – und ein früherer Duzfreund von EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) im Visier: Nach der Razzia gegen mutmaßliche Angehörige der kalabrischen Mafia-Organisation ’Ndrangheta werden bemerkenswerte Details bekannt. Mehr als 160 Verdächtige wurden am Dienstagmorgen in Italien und Deutschland festgenommen.

Italienische Fahnder sprachen von einer „kriminellen Holding“, die ihre Fühler bis in die Bundesrepublik ausstrecke – und das vom Bergort Cirò aus, 350 Meter hoch über der Küste des Ionischen Meers. Zwei Familien aus Cirò, Farao und Marincola, sollen den Clan bilden, gegen den die Staatsanwaltschaft in der kalabrischen Hauptstadt Catanzaro ermittelt.

Das Bundeskriminalamt berichtete von elf Festnahmen, vier davon in Baden-Württemberg. Mehrere Wohnungen und Restaurants wurden durchsucht. An der Razzia waren Spezialeinsatzkräfte aus verschiedenen Bundesländern beteiligt. Abgesehen von der Staatsanwaltschaft Stuttgart und dem Landeskriminalamt Baden-Württemberg beteiligten sich auch Ermittler in Frankfurt, München und Düsseldorf an der Operation. Wie es heißt, habe der Clan auch Geschäfte in der Schweiz angebahnt. Den in Deutschland verhafteten Männern im Alter zwischen 36 und 61 Jahren werden schwere Straftaten wie Erpressung und Geldwäsche vorgeworfen.

Das Vorgehen der mutmaßlichen Mafiosi in Deutschland konzentrierte sich offenbar ganz auf den Gastronomiesektor. In Mafia-Manier sollen aus Kalabrien stammende italienische Gastwirte und Pizzeria-Betreiber in Baden-Württemberg und Hessen gezwungen worden sein, Gastronomieprodukte aus der Gegend um Cirò in Kalabrien zu verwenden.

Die italienischen Ermittler berichteten insbesondere davon, den Restaurantbetreibern in Deutschland sei der Kauf von Wein, Milchprodukten, Öl und vorgefertigtem Pizzateig aufgezwungen worden. Die Produkte stammten aus Betrieben in Italien, die der Farao-Marincola-Clan kontrolliert. Die Erpresser hätten sich als Mitglieder eines Vereins italienischer Gastwirte getarnt.

Unter den Verhafteten ist auch der Stuttgarter Pizzeria-Betreiber Mario L., der bereits früher in Verbindung mit der kalabrischen 'Ndrangheta gebracht wurde. Er wurde in Italien festgenommen. L. galt als Duzfreund des ehemaligen Ministerpräsidenten sowie heutigen EU-Kommissars Oettinger und organisierte in seiner Pizzeria Feste für die CDU-Landtagsfraktion. Bei einem Gerichtsverfahren in Italien wurde L. 1999 freigesprochen. In Deutschland war L. 1995 zu einer Bewährungsstrafe wegen Steuerhinterziehung verurteilt worden.

In Italien beschränkte sich der 'Ndrangheta-Clan von Cirò nicht auf den Gastronomiesektor, sondern bestimmte das Geschäftsleben in allen möglichen Bereichen. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft Catanzaro flochten die unter dem Kommando des inhaftierten Bosses Giuseppe Farao stehenden Männer ein regelrechtes Kartell. Ein knappes Dutzend Lokalpolitiker, darunter drei Bürgermeister und der Präsident der Provinz Crotone, sicherten den Einfluss der Mafiosi in der Politik. „Früher stellten wir fest, dass Politiker Mafiabosse aufsuchten, um sich Wählerstimmen zu sichern. Heute bestimmen Exponenten der Clans direkt die öffentliche Verwaltung“, sagte Staatsanwalt Nicola Gratteri auf einer Pressekonferenz in Catanzaro.

Die Geschäfte der Bosse erstreckten sich auf die unterschiedlichsten Bereiche wie Müllentsorgung, Tourismus, Unterbringung von Flüchtlingen, Aufstellen von Spielautomaten, die Kontrolle des Hafens von Cirò, den Fischverkauf, Bäckereien bis hin zur Kontrolle des Bestattungsgeschäfts. Den insgesamt 169 Verdächtigen werden Straftatbestände wie Bildung einer Mafia-Vereinigung, versuchter Mord, Erpressung, Veruntreuung, Korruption, aber auch Verstöße gegen das Waffengesetz vorgeworfen. Das einträglichste Geschäft der 'Ndrangheta, den Drogenhandel, erwähnten die italienischen Ermittler nicht. Die Ermittler beschlagnahmten in Italien Güter im Wert von etwa 50 Millionen Euro.

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