Luxemburgs Außenminister greift Budapest scharf an „Nicht mehr weit weg vom Schießbefehl“

Brüssel · Eklat vor dem EU-Gipfeltreffen: Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn will Ungarn aus der EU ausschließen.

Vorwürfe, Beleidigungen, gegenseitige Beschimpfungen – zwei Tage vor dem Gipfeltreffen der 27 EU-Staats- und Regierungschefs in Bratislava treten die Spannungen zwischen den Mitgliedstaaten offen zutage. Besonders drastisch holte am Dienstag der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn aus. Ziel seiner Attacke: die ungarische Führung unter Premier Viktor Orbán.

„Wer wie Ungarn Zäune gegen Kriegsflüchtlinge baut oder wer die Pressefreiheit und die Unabhängigkeit der Justiz verletzt, der sollte vorübergehend oder notfalls für immer aus der EU ausgeschlossen werden“, erklärte er in einem Interview. Der Zaun, den die Regierung bauen lasse, werde „immer länger, höher und gefährlicher“. Ungarn sei „nicht mehr weit weg vom Schießbefehl gegen Flüchtlinge“. Asselborn weiter: „Und das in einem Land, aus dem 1956 Hunderttausende Menschen vor den Sowjets nach Europa geflohen sind.“ Es seien „Typen wie Orbán“, die es der EU „eingebrockt haben, dass sie in der Welt dasteht wie eine Union, die sich anmaßt, nach außen Werte zu verteidigen, aber nach innen nicht mehr fähig ist, diese Werte auch aufrechtzuerhalten“.

Die Reaktion in gleicher Schärfe ließ nicht lange auf sich warten. Budapests Außenamtschef Peter Szijjártó keilte zurück und bezeichnete Asselborn als eine „unernste Figur“. „Er hat sich selbst aus der Reihe der ernst zu nehmenden Politiker ausgeschlossen“, sagte Szijjártó. Tschechiens Regierungschef Bohuslav Sobotka zeigte ebenfalls kein Verständnis: „Ich halte es für Unfug, die Gräben zu vertiefen und lautstark nach dem Ausschluss von Mitgliedstaaten zu rufen“, sagte er gestern.

Der Streit reißt eine Wunde wieder auf, die über die Sommerpause nur oberflächlich verheilt war: Orbáns Blockade gegen jede Zusammenarbeit mit den EU-Partnern in der Flüchtlingsfrage ist auch Berlin ein Dorn im Auge. Dass der umstrittene Premier sein vier Meter hohes Stacheldraht-Bollwerk auch noch offen als „ein nahezu ideales Mittel gegen die Migrantenflut“ verteidigte, hat viele Regierungshauptstädte verärgert. Damit nicht genug: Im Januar warb der Premier ungeschminkt für ungarischen Stacheldraht, der in den Gefängnissen des Landes hergestellt werde – man habe so viel auf Lager, dass man bereits mehrere Hundert Kilometer an Mazedonien, Bulgarien und Slowenien verkauft habe.

Zynischerweise hat der Mann Recht: Zäune sind wieder gefragt in Europa. Neben Ungarn haben auch Slowenien, Bulgarien, Tschechien, Griechenland und Österreich zumindest Teile ihrer Grenzen mit Abwehranlagen gesichert. Großbritannien finanziert gerade den Bau eines Walls um das Flüchtlingslager im französischen Calais. Spanien sichert seine marokkanischen Exklaven Ceuta und Melilla mit Stacheldrahtanlagen.

Auch wenn Asselborn über ein Verfahren zum Ausschluss Ungarns offen nachdenkt, weiß er natürlich, dass das gar nicht möglich ist. Denn dazu müssten alle anderen EU-Mitglieder die Hand heben. Diese Einstimmigkeit ist nicht herstellbar. Doch den Sozialdemokraten treibt eine Sorge um, die viele teilen: „Die EU kann scheitern. Indem sie innerlich auseinanderbricht, ohne Sinn, ohne Kompass, ohne Zusammenhalt. Wir sind auf dem Weg dahin.“

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