Syrienkrieg Mit machtpolitischem Kalkül

Istanbul · Die Türkei spielt eine Schlüsselrolle bei den Bemühungen um eine Evakuierung von Zivilisten und Rebellen aus Aleppo. Dabei geht es nicht nur um humanitäre Motive. Das Land will die aus Aleppo geflohenen Kämpfer in den Kampf gegen IS und Kurden einbinden.

 Flüchtlinge aus Ost-Aleppo kommen in der von Rebellen gehaltenen Stadt Khan al-Assal westlich von Aleppo an.

Flüchtlinge aus Ost-Aleppo kommen in der von Rebellen gehaltenen Stadt Khan al-Assal westlich von Aleppo an.

Foto: afp

Die Türkei spielt eine Schlüsselrolle bei den Bemühungen um eine Evakuierung von Zivilisten und Rebellen aus Aleppo. Ankara spricht mit Russland und dem Iran und bereitet die Aufnahme von mehreren Zehntausend Menschen aus der Stadt vor. Dabei es geht nicht nur um humanitäre Motive – Ankara handelt auch aus einem regionalpolitischen Machtkalkül heraus.

Ministerpräsident Binali Yildirim und Außenminister Mevlüt Cavusoglu führten in den vergangenen Tagen die Gespräche mit den iranischen und russischen Verbündeten des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad. Yildirim sprach mit dem iranischen Vizepräsidenten Eshaq Jahangiri und dem russischen Premier Dmitri Medwedew, während Cavusoglu mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow konferierte, um Tausende von Menschen aus dem Ostteil von Aleppo in Sicherheit bringen zu können.

Im nordwestsyrischen Idlib, einer Rebellenhochburg nahe der türkischen Grenze, baut der Türkische Rote Halbmond ein Auffanglager für 10.000 Menschen aus Aleppo auf; insgesamt will die Türkei Notunterkünfte für 80.000 Flüchtlinge schaffen. Das Engagement des Landes, das bereits 2,7 Millionen Syrer aufgenommen hat, wird weltweit mit großem Respekt registriert. US-Präsident Barack Obama rief seinen Amtskollegen Recep Tayyip Erdogan an, um ihm für die Bemühungen der Türkei um einen Waffenstillstand in Aleppo zu danken.

Kein selbstloses Handeln

Ganz selbstlos ist das türkische Handeln aber nicht. Ankara will zumindest einen Teil der aus Aleppo fliehenden Kämpfer an der türkischen Militäroperation „Schild des Euphrats“ in Nordsyrien teilnehmen lassen, bei der die Türkei gegen den Islamischen Staat (IS) und die syrischen Kurden vorgeht. Der erste Einsatzort der kampferfahrenen Milizen aus Aleppo unter türkischem Kommando soll die Stadt Al-Bab sein, wie ein Rebellenkommandeur der Nachrichtenagentur Reuters sagte. In Al-Bab, rund 40 Kilometer nordöstlich von Aleppo, rücken türkische Panzerverbände und verbündete Milizen gegen den IS vor.

Seit dem Beginn der türkischen Militärintervention in Syrien im August haben türkische Soldaten und protürkische syrische Kämpfer einen rund 80 Kilometer langen Gebietsstreifen auf syrischem Gebiet von Azaz im Westen bis nach Jarablus im Osten erobert. Diese Geländegewinne sollen nicht nur den IS von der türkischen Grenze fernhalten, sondern auch das Autonomiestreben der syrischen Kurden stoppen.

Mit der Evakuierung der Zivilisten und der Rebellen aus Aleppo zementiert Erdogan den türkischen Einfluss im Norden Syriens. Das ist aus türkischer Sicht derzeit besonders wichtig, weil Erdogans Langzeitziel, die Ablösung von Assad, durch die Niederlage der Regimegegner in Aleppo einen empfindlichen Rückschlag erlitten hat. Aleppo werde „zum Friedhof der Hoffnungen und Träume des Schlächters Erdogan“, hatte Assad schon im Sommer vorausgesagt.

Ankara ordnet Abzug an

Kritiker werfen der Türkei vor, selbst zu dieser Niederlage beigetragen zu haben. In den vergangenen Monaten hatte Ankara den Abzug einiger Rebellenverbände aus Aleppo angeordnet, um diese in die Schlacht gegen den IS und die Kurden weiter nördlich zu werfen. Dies „trug zur Schwächung des Aufstands in Aleppo bei und ermöglichte so den Vormarsch der syrischen Armee“, sagte der Journalist Régis Le Sommier dem Nachrichtensender France24.

Mehrmals tauchten in jüngster Zeit Berichte auf, in denen von einer Verständigung zwischen der Türkei und Russland für Nordsyrien die Rede war. Demnach erklärte sich Moskau mit der türkischen Intervention in Syrien einverstanden, während Ankara sich mit Kritik an der syrisch-russisch-iranischen Offensive in Aleppo zurückhielt.

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