Reise in die Türkei Merkel will Gesprächsfaden zu Erdogan nicht abreißen lassen

Berlin · Die Kanzlerin steht beim Türkei-Besuch unter hohem Erwartungsdruck. Viele wünschen sich eine Verbesserung der Beziehung - und zugleich scharfe Kritik an Erdogan. Trifft Merkel auch Oppositionsvertreter?

 Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und Bundeskanzlerin Angela Merkel geben sich im Oktober 2015 bei einem Treffen in Istanbul die Hand.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und Bundeskanzlerin Angela Merkel geben sich im Oktober 2015 bei einem Treffen in Istanbul die Hand.

Foto: Tolga Bozoglu

Ferner werde Merkel am Donnerstag das Parlamentsgebäude besichtigen, das bei dem für die Türkei "traumatischen Erlebnis eines blutigen Putschversuches" im vorigen Juli schwer beschädigt wurde, teilte Regierungssprecher Steffen Seibert mit.

Er versicherte, bei ihren Treffen mit Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan und Ministerpräsident Binali Yildirim würden Freiheitsrechte und deren Einschränkungen wieder ein Thema sein. Die Pressefreiheit sei aus Sicht der Bundesregierung zentrale Säule eines demokratischen Rechtsstaats, und die nötige Aufarbeitung des Militärputsches im Juli 2016 müsse im Rahmen von Rechtsstaatlichkeit und Verhältnismäßigkeit geschehen. Das sei aber schon häufig gesagt worden und nichts Neues.

Seibert ließ offen, ob Merkel auch Oppositionelle treffen wird. Er wies den Vorwurf von Politikern und türkischen Verbänden zurück, Merkels Besuch könnte als Wahlkampfhilfe für Erdogan gewertet werden, weil die Türkei in wenigen Wochen über die Einführung eines Präsidialsystems abstimmt, das ihm viel mehr Macht verleihen würde.

Bundestagsabgeordnete und Verbände halten den Zeitpunkt für Merkels Besuch wegen des Referendums für kritisch und rechnen damit, dass Erdogan das als Bestätigung und Anerkennung deuten wird. Sie forderten, Merkel solle die Staatsspitze offen und hart für das Vorgehen nach dem Putschversuch mit Massenverhaftungen und Unterdrückung von Journalisten kritisieren und sich mit Oppositionsvertretern treffen.

Der türkische Vize-Ministerpräsident Veysi Kaynak warf Deutschland unterdessen Terrorunterstützung vor. Die Bundesrepublik sei ein Land, dass "allerart Terroristen, die der Türkei eine Plage sind, mit offenen Armen empfängt", sagte er in einem Interview der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu. Dazu gehörten unter anderem "Terroristen" der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK.

Seibert sagte, es sei selbstverständlich, dass der Putschversuch mit den Mitteln eines Rechtsstaats aufgearbeitet und die Schuldigen bestraft werden müssten. "Wie diese Aufarbeitung zum Teil geschieht, hat immer wieder internationale Kritik hervorgerufen, auch der Bundesregierung." Sie sehe alle "Konflikte, die Zuspitzungen, die in den vergangenen Monaten entstanden sind, sich aus der Politik des Präsidenten ergeben haben, besorgniserregende Entwicklungen im Bereich der bürgerlichen Freiheiten, der Pressefreiheit".

Seibert betonte aber: "Den Gesprächsfaden abreißen lassen, das wäre gewiss keine vernünftige Lösung." Für Merkel stehe fest: "Die Türkei ist und bleibt für uns Deutsche wie für uns Europäer ein überaus wichtiger Nachbar und überaus wichtiger Partner." Die wichtigsten Themen der Reise seien die weitere Umsetzung des Flüchtlingsabkommens - Merkel findet das zu schleppend -, Hilfe für die Zivilbevölkerung im Bürgerkriegsland Syrien, die Zypernfrage und die Zusammenarbeit in der Nato. Die Kanzlerin wolle nach gemeinsamen Interessen und Lösungen und "nicht einfach nur um einen Meinungsaustausch".

Der Grünen-Bundestagsabgeordnete und Vizevorsitzende der deutsch- türkischen Parlamentariergruppe, Özcan Mutlu, erklärte, Merkel müsse unbedingt Oppositionspolitiker und Menschenrechtler treffen. "Ihr letzter Besuch wurde als Wahlkampfhilfe für Erdogan verstanden und von der gleichgeschalteten türkischen Presse als Erfolg für die AKP dargestellt." Dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) sagte er, Merkel müsse die Massenverhaftungen, fehlende Presse- und Meinungsfreiheit, die faktische Abschaffung der Gewaltenteilung und die Verletzung von Menschenrechten klar und deutlich kritisieren.

Ankara hatte verärgert auf deutsche Kritik an der Lage der Demokratie in der Türkei und angeblich mangelnde Solidarität Berlins nach dem Putschversuch reagiert. Seit Juli 2016 sind Zehntausende Menschen entlassen oder verhaftet und die Medien stark eingeschränkt worden. Amnesty International in Istanbul berichtete jüngst, inzwischen seien beinahe 400 Nichtregierungsorganisationen dauerhaft geschlossen worden, fast ein Drittel der weltweit inhaftierten Journalisten befänden sich nun in der Türkei in Haft.

Für den Putschversuch macht Erdogan den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen verantwortlich. Erdogan wirft der Bundesregierung unter anderem vor, nicht gegen die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK und die Gülen-Bewegung in Deutschland vorzugehen. Im Streit um die Visafreiheit hat er mit der Aufkündigung des Flüchtlingspaktes mit der EU gedroht, zu dessen Architekten Merkel zählt.

Weitere Infos

  • Merkels Reisen in die Türkei:

- 6. Oktober 2006: Bei ihrem ersten Besuch des Nato-Partners trifft die Kanzlerin Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und redet vor dem Deutsch-Türkischen Wirtschaftsforum in Istanbul.

- 29./30. März 2010: Nach einem Streit zwischen Ankara und Berlin über die Integration türkischer Mitbürger in der Bundesrepublik trifft Merkel Staatspräsident Abdullah Gül und Regierungschef Erdogan. Auch die schleppenden EU-Beitrittsverhandlungen, die Zukunft des Nahost-Friedensprozesses und die Beziehungen zum Iran sind Themen.

- 24./25. Februar 2013: Nach Gesprächen mit Gül und Erdogan in Ankara informiert sich Merkel in Kahramanmaras - 100 Kilometer von der syrischen Grenze - bei Bundeswehrsoldaten über einen Nato-Einsatz mit Patriot-Abwehrraketen.

- 18. Oktober 2015: Bei einem Treffen in Istanbul mit Regierungschef Ahmet Davutoglu stellt Merkel der Türkei für eine verstärkte Zusammenarbeit in der Flüchtlingskrise Visa-Erleichterung und Finanzhilfen in Aussicht.

- 15./16. November 2015: Merkel ist Teilnehmerin des G20-Treffens in Belek bei Antalya. Der Gipfel steht unter dem Eindruck islamistischer Terroranschläge in Paris wenige Tage zuvor. Die G20-Staaten vereinbaren ein Paket mit konkreten Anti-Terror-Maßnahmen.

- 8. Februar 2016: Die Bundeskanzlerin spricht in Ankara mit Davutoglu und Staatspräsident Erdogan über die Flüchtlingskrise.

- 23. April 2016: Merkel reist zusammen mit EU-Ratspräsident Donald Tusk und EU-Vizekommissionspräsident Frans Timmermans in die südosttürkische Provinz Gaziantep. An der Grenze zu Syrien besuchen sie gemeinsam mit Davutoglu ein Flüchtlingscamp.

- 22./23. Mai 2016: Merkel reist zum UN-Nothilfegipfel nach Istanbul und trifft sich auch mit Erdogan. Mit dem türkischen Präsidenten spricht sie unter anderem über den Flüchtlingspakt.

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