"Respektvoller Dialog" Merkel will Gesprächsfaden mit Türkei wieder aufnehmen

Berlin · Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen, Abzug deutscher Soldaten aus Incirlik, Stopp aller Waffenlieferungen: Was ist nach Erdogans Sieg beim Verfassungsreferendum zu tun? Bundesregierung und EU-Kommission warten ab. Die Debatte über Konsequenzen ist aber in vollem Gange.

 Bundeskanzlerin Merkel hofft nach dem Referendum auf einen konstruktiven Dialog mit Ankara.

Bundeskanzlerin Merkel hofft nach dem Referendum auf einen konstruktiven Dialog mit Ankara.

Foto: Kay Nietfeld

Nach dem Verfassungsreferendum in der Türkei ist die Debatte über einen Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara neu entbrannt. In Deutschland sprachen sich Spitzenpolitiker von Union, Linke und FDP dafür aus.

Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) nannte solche Forderungen innenpolitisch motiviert. "Ich bin dafür, dass wir eher nach neuen Gesprächsformen suchen, denn die Türkei bleibt unser Nachbar", sagte er am Montag.

Am Sonntag hatten 51,4 Prozent der Türken für eine Verfassungsreform gestimmt, die Präsident Recep Tayyip Erdogan deutlich mehr Macht gibt. Der hart geführte Wahlkampf hatte das deutsch-türkische Verhältnis in eine tiefe Krise gestürzt. Erdogan hatte Deutschland Nazi-Methoden vorgeworfen, weil einzelne Wahlkampfauftritte türkischer Politiker aus Sicherheitsgründen untersagt wurden.

Die Bundesregierung will den Dialog mit Ankara nun so schnell wie möglich wieder aufnehmen. In einer ersten Reaktion forderten Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Vizekanzler Gabriel die türkische Regierung gemeinsam dazu auf, der Spaltung der türkischen Gesellschaft entgegenzuwirken. "Die Bundesregierung erwartet, dass die türkische Regierung nun nach einem harten Referendumswahlkampf einen respektvollen Dialog mit allen politischen und gesellschaftlichen Kräften des Landes sucht."

Zu den EU-Beitrittsverhandlungen äußerten sich die beiden nicht gemeinsam. Gabriel wies die Forderungen nach einem Abbruch der Gespräche während eines Kurzbesuchs in Albanien zurück. "Ich vermute, es gibt zu viele in Europa, die manchmal aus Gründen der Innenpolitik rigorose Haltungen gegenüber der Türkei einnehmen werden und den Abbruch aller Gespräche fordern werden", sagte er.

Gabriel lehnte auch einen von der Linken ins Gespräch gebrachten Ausschluss der Türkei aus der Nato ab. "Auch während der Militärdiktatur in der Türkei ist zum Beispiel niemand auf die Idee gekommen, die Türkei aus der Nato auszuschließen - weil wir nicht wollten, dass sie in Richtung der Sowjetunion geht", sagte er. "Ähnliche Interessen haben wir heute."

Der österreichische Außenminister Sebastian Kurz plädierte ebenso für einen Abbruch der Beitrittsverhandlungen wie der Vorsitzende der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament, Manfred Weber. "Die Vollmitgliedschaft kann kein Ziel mehr sein", sagte der stellvertretende CSU-Vorsitzende Weber im ZDF. Die Beitrittsperspektive für die Türkei sei eine "Lebenslüge", die vom Tisch genommen werden müsse.

Die EU-Kommission schwieg zu der Frage. Die Verfassungsänderungen "und insbesondere ihre praktische Umsetzung" sollten im Lichte der Verpflichtungen der Türkei als EU-Beitrittskandidat und als Mitglied des Europarats begutachtet werden, hieß es in einer Erklärung.

Die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sind seit langem umstritten. Die Europäische Union hatte sie 2005 aufgenommen, zuletzt aber keine neuen Kapitel mehr in Angriff genommen. Die Verhandlungen lagen also quasi auf Eis. Die Türkei bekommt trotzdem weiter EU-Finanzhilfen in Milliardenhöhe.

Abbrechen wollte die EU die Verhandlungen bisher nicht, um der Türkei die Tür nicht endgültig zuzuschlagen. Die Wiedereinführung der Todesstrafe gilt allerdings als rote Linie, die nicht überschritten werden darf. Erdogan kündigte nach seinem Sieg beim Referendum an, das Thema Todesstrafe wieder auf die Tagesordnung zu setzen.

Auch aus der Linken und der FDP kam die Forderung nach einem Abbruch der Beitrittsverhandlungen. Linke und Grüne forderten zudem Konsequenzen für die militärische Zusammenarbeit mit der Türkei: Die rund 260 auf dem türkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik stationierten Bundeswehrsoldaten müssten abgezogen und alle Waffenlieferungen an den Nato-Partner gestoppt werden, forderten die Spitzenkandidaten der beiden Parteien, Sahra Wagenknecht und Cem Özdemir.

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