Konflikt in Nordafrika Erdogan droht libyschem Rebellengeneral

Istanbul · Das Scheitern der Libyen-Verhandlungen in Moskau stellt die Berliner Friedenskonferenz infrage. Wenige Tage davor eskalieren die Spannungen in dem nordafrikanischen Land. Die Türkei könnte nun sogar zur Kriegspartei werden.

 Recep Tayyip Erdogan, Präsident der Türkei, spricht vor Mitgliedern seiner Regierungspartei AKP in Ankara.

Recep Tayyip Erdogan, Präsident der Türkei, spricht vor Mitgliedern seiner Regierungspartei AKP in Ankara.

Foto: dpa/Burhan Ozbilici

Wenige Tage vor der geplanten Berliner Friedenskonferenz für Libyen an diesem Sonntag eskalieren die Spannungen in dem nordafrikanischen Land. Nach dem Scheitern von Gesprächen über einen Waffenstillstand drohen Auseinandersetzungen zwischen dem Nato-Land Türkei und Rebellengeneral Chalifa Haftar. Der General reiste am Dienstag nach Verhandlungen in Moskau ab, ohne ein Waffenstillstandabkommen mit seinem Rivalen Fajis al-Sarradsch unterzeichnet zu haben.

Hauptgrund war laut Medienberichten Haftars Widerstand gegen eine Rolle für die Türkei, den wichtigsten Partner von Sarradsch. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan drohte Haftar daraufhin, die Türkei werde ihm eine „verdiente Lehre“ erteilen, wenn er Sarradschs Regierung weiter angreifen sollte.

Erdogan sagte vor der Parlamentsfraktion seiner Regierungsfraktion AKP in Ankara, Haftar sei ein „Putschist“, der Libyen „mit Blut tränkt“ und seinen „Hass“ auf die Türkei zeige. Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu sagte nach Haftars Nein zum Waffenstillstand, wenn der General so weitermache, habe die Berliner Konferenz keinen Sinn. Bundeskanzlerin Angela Merkel will am Sonntag Erdogan, den russischen Staatschef Wladimir Putin, den italienischen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte, weitere Spitzenpolitiker sowie Haftar und Sarradsch an einen Tisch bringen.

Deutschland will die Konferenz ausrichten, um Libyen stabilisieren und so die von dem Land ausgehende Flüchtlingskrise besser in den Griff bekommen zu können. Der Sturz von Diktator Muammar Gaddafi vor neun Jahren hatte Libyen ins Chaos gestürzt; seit 2014 ist das rohstoffreiche Land zwischen zwei rivalisierenden Regierungen geteilt. Das Fehlen einer staatlichen Zentralgewalt gab Menschenschmugglern die Gelegenheit, sich in den Küstenregionen festzusetzen und im großen Stil ein Geschäft mit Flüchtlingen aus Afrika aufzuziehen, die nach Europa wollen.

Sarradschs Einheitsregierung in Tripolis im Westen des Landes wird zwar von den Vereinten Nationen als legitime Führung anerkannt, hat aber nur wenige Landesteile außerhalb der Hauptstadt unter Kontrolle und verfügt über keine eigene Armee. Stattdessen stützt sich Sarradsch auf diverse Milizen. Sein Gegner Haftar vertritt die Gegenregierung im Osten des Landes. Im vergangenen April begann seine Libysche Nationalarmee (LNA) mit einer Großoffensive zur Einnahme von Tripolis, nachdem sie vorher wichtige Ölquellen im Süden des Landes unter ihre Kontrolle gebracht hatte.

In der vorigen Woche nahm Haftar die wichtige Küstenstadt Sirte ein. Dennoch ist sein Angriff auf Tripolis in den Außenbezirken der Hauptstadt steckengeblieben. Seit April sind bei den Gefechten mehr als 2000 Menschen umgekommen.

Angefacht wird der Konflikt durch die Einmischung ausländischer Mächte, denen es um Macht, Einfluss und die reichen Ölvorräte in Libyen geht und die ein UN-Waffenembargo ignorieren. Sarradsch kann sich auf die Türkei und das Emirat Katar stützen. Erdogan hatte kurz nach Neujahr den Beginn einer türkischen Truppenverlegung nach Libyen bekannt gegeben; laut Medienberichten kämpfen auch syrische Rebellen, die von der Türkei bezahlt und ausgebildet werden, auf der Seite von Sarradsch. Die Türkei steuert zudem Drohnen, Feuerwaffen, Munition und gepanzerte Fahrzeuge bei.

Haftar hingegen stützt sich auf Hilfe von Russland, Ägypten, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE); Ägypten, Saudi-Arabien und die VAE sind regionalpolitische Rivalen der Türkei und Katars. Russische Söldner und sudanesische Kämpfer, die von den VAE bezahlt werden, hatten Haftar in jüngster Zeit einen militärischen Vorteil verschafft. Auch EU-Mitglied Frankreich stützt Haftar. Die frühere Kolonialmacht Italien streitet sich mit Frankreich um Einfluss in Libyen.

Obwohl sie auf gegnerischen Seiten des Konflikts stehen, hatten die Türkei und Russland in der vergangenen Woche einen Waffenstillstand für Libyen gefordert. Die seit Sonntag geltende brüchige Feuerpause sollte bei den Moskauer Verhandlungen mit einer schriftlichen Vereinbarung gefestigt werden, doch der Versuch scheiterte.

Erdogan und Putin wollen mit ihrer Vermittlung die Rollen ihrer Länder in Nahost und ihren Einfluss auf die EU ausbauen: Sollten sie es schaffen, in Libyen zu Ordnungsmächten zu werden, könnten sie das EU-Flüchtlingsproblem bei anderen Themen als Hebel benutzen. Das Scheitern der Moskauer Gespräche zeigte jedoch, dass dies für Ankara und Moskau sehr schwierig ist.

Die Türkei will mit ihrem Engagement in Libyen zudem ihre Position in einem Streit mit ihren Nachbarn – darunter Ägypten – um Erdgasvorkommen im östlichen Mittelmeer stärken. Haftar wirft Sarradsch und der Türkei vor, mit der islamistischen Muslimbruderschaft und Dschihadisten zu kooperieren.

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