Kampf um die Labour-Spitze Die britische Opposition sucht einen Parteichef

London · Weiter links oder zurück in die Mitte: Die britische Opposition sucht einen Parteichef. Die Anhängerschaft hat sechs Optionen. Doch nur zwei Kandidaten scheinen Aussichten zu haben, Jeremy Corbyn nachzufolgen.

 Konkurrieren um die Parteispitze und damit die Nacchfolge von Jeremy Corbyn (Mitte): Keir Starmer (links) und Rebecca Long-Bailey.

Konkurrieren um die Parteispitze und damit die Nacchfolge von Jeremy Corbyn (Mitte): Keir Starmer (links) und Rebecca Long-Bailey.

Foto: dpa/Stefan Rousseau

Das Rennen um den Parteivorsitz bei der britischen Labour-Partei beginnt. Sechs Kandidaten bewerben sich um die Nachfolge von Jeremy Corbyn, der bei den Wahlen im Dezember die schlimmste Labour-Niederlage seit 1935 eingefahren hatte und hinterher seinen Rücktritt ankündigte. Über die nächsten drei Monate wird sich ein heftiger Machtkampf entfalten, bevor dann am 4. April der oder die neue Vorsitzende bekanntgegeben wird. Die rund 500 000 Parteimitglieder müssen entscheiden, ob sie weiterhin auf stramm linkem Corbyn-Kurs bleiben oder wieder zurück in die Mitte rücken wollen.

Ein früher Favorit im Rennen ist Sir Keir Starmer. Der ehemalige Generalstaatsanwalt ging aus einer kürzlichen Umfrage unter Parteimitgliedern als Spitzenreiter hervor. Er hat sich als Brexit-Sprecher der Partei Respekt verschafft mit seinem forschen Auftreten im Unterhaus und positionierte sich für einen Verbleib Großbritanniens in der EU. Starmer gilt als politisch gemäßigt. Da die Parteibasis eher links steht, hat der 57-Jährige in den letzten Wochen versucht, seinem Image als Zentrist gegenzuarbeiten, indem er das linkslastige Wahlprogramm Labours ausdrücklich verteidigte und seine Wurzeln in der Arbeiterklasse unterstrich.

Seine größte Konkurrentin dürfte Rebecca Long-Bailey heißen. Die 40-Jährige ist erst seit 2015 Abgeordnete im Unterhaus, hat aber eine steile Karriere hinter sich und wurde wirtschaftspolitische Sprecherin im Schattenkabinett. Rebecca Long-Bailey, oder RLB, wie sie von Genossen genannt wird, liegt ganz auf Corbyn-Linie. In ihrer Bewerbung für die Kandidatur schrieb sie in der Zeitschrift „Tribune“ von ihrer „unerschütterlichen Entschlossenheit, einen demokratischen Sozialismus zu verwirklichen“ und erklärte sich selbst zu einer „Vorsitzenden, die mit einer sozialistischen Agenda vertraut werden kann.“

Kein Wort über die Hauptprobleme von Labour

Auch sie verteidigte das Wahlprogramm Labours: „Ich bin mit dieser Politik nicht nur einverstanden. Ich habe die letzten vier Jahre damit verbracht, sie zu schreiben.“ Freilich verlor sie in ihrem Tribune-Beitrag kein Wort über die drei Hauptprobleme, die Labour die Wahl gekostet haben: die unklare Haltung beim Brexit, der Antisemitismus-Vorwurf und die Personalie Jeremy Corbyn, den die Briten den Premierminister-Job nicht anvertrauen wollten. Rebecca Long-Bailey genießt die Unterstützung des Partei-Establishments und hat damit die besten Aussichten für ihre Kandidatur.

Drei weitere Frauen und ein Mann bilden des Rest des Kandidatenfelds. Emily Thornberry, die außenpolitische Sprecherin im Schattenkabinett, ist ein politisches Schwergewicht, aber wird Probleme haben, genug Unterstützung bei der Basis zu bekommen, nachdem sie sich vom Wahlprogramm distanzierte. Lisa Nandy und Jess Philipps sind beim Parteivolk populär, haben aber bisher wenig Profil zeigen können. Schließlich ist auch noch Clive Lewis im Rennen. Der ehemalige Journalist und Soldat macht Rebecca Long-Bailey auf dem linken Flügel Konkurrenz:

Wer immer das Rennen machen wird, hat eine Riesenaufgabe vor sich. Noch nie hat es eine Partei geschafft, eine absolute Mehrheit von 80 Mandaten, wie sie jetzt Premierminister Boris Johnson genießt, in einem einzigen Anlauf umzukehren. Das aber bedeutet, dass Johnson nicht nur fünf Jahre, sondern womöglich ein ganzes Jahrzehnt im Amt bleiben könnte. Für die Genossen stellt sich die alte Frage: Will man der ideologisch reinen Lehre folgen oder will man gewinnen? Rebecca Long-Bailey steht für eine Fortsetzung des Corbyn-Kurses. Keir Starmer hätte das Format eines künftigen Premierministers und kommt in der britischen Bevölkerung gut an. Aber für viele Parteimitglieder könnte er nicht radikal genug sein.

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