Proteste in Russland Kremlkritiker Nawalny zu 30 Tagen Arrest verurteilt

Moskau · In Russland protestieren Zehntausende gegen den Präsidenten Wladimir Putin. Oppositionspolitiker Alexej Nawalny befindet sich unter den Festgenommenen, am Montagabend wurde er zu 30 Tagen Arrest verurteilt.

 In Russland fanden mehreren Demonstrationen statt.

In Russland fanden mehreren Demonstrationen statt.

Foto: AFP

Die Sprechchöre flackerten immer wieder auf. Vor dem Gebäude des Iswestija-Verlags am Puschkinplatz drängten sich mehr als 1000 Menschen, junge Stimmen skandierten: „Zwei, drei, vier, Putin geh weg von hier!“ Mehrere Fangtrupps von fünf bis zwölf Einsatzpolizisten mit schwarzen Helmen und Kampfanzügen stürzten sich in die Menge, packten die lautesten Rufer und schleppten sie in Richtung der Polizeibusse. „Schande! Schande!“, schrie man ihnen hinterher. Dann stimmte jemand die russische Nationalhymne an.

Am Montag gingen in ganz Russland Zehntausende Menschen auf die Straßen, um gegen Präsident Wladimir Putins Regime zu protestieren. „Wir wollen die Zustände ändern“, sagte der 15-jährige Schüler Michail unserer Zeitung. „20 Millionen Russen leben unterhalb der Armutsgrenze.“ Hunderte Menschen, die gestern demonstrierten, landeten in Polizeibussen.

Eigentlich hatten die Behörden die von Alexej Nawalny auf dem Sacharow-Prospekt beantragte Kundgebung gestattet. Aber der Oppositionspolitiker verkündete am Sonntagabend auf Youtube, unter dem Druck der Stadtverwaltung hätten sich die Firmen reihenweise geweigert, ihm Bühne und Lautsprecher zu vermieten. Deshalb verlege man die Demonstration in die Twerskaja Uliza im Stadtzentrum. Hier hatten die Behörden am Montag zum „Tag Russlands“ ein historisches Festival organisiert: „Russlands Siege.“ Auch Nawalny gab sich patriotisch: „Auch wir veranstalten einen friedlichen Spaziergang unter russischen Flaggen zum Tag Russlands.“ Ein Sprecher des Rathauses erklärte dagegen, Nawalny selbst hätte technische Hilfsangebote der Behörden abgelehnt.

Nawalny in seinem Wohnhaus festgenommen

Und kurz vor Beginn der Demonstration erklärte ein hoher Polizeibeamter Radio Echo Moskwy, man werde niemanden behelligen, der auf der Twerskaja unterwegs sei, ohne Plakate zu tragen oder politische Parolen zu rufen. Die Praxis sah anders aus. Nawalny selbst wurde noch im Flur seines Wohnhauses festgenommen. Am Montagabend wurde Alexej Nawalny zu 30 Tagen Arrest verurteilt. Der Kremlkritiker habe wiederholt gegen die Regeln zur Organisation von Demonstrationen verstoßen und sei schuldig, urteilte das Gericht Nawalnys Sprecherin zufolge.

Und auf der geplanten Kundgebungsroute vom Weißrussischen Bahnhof bis zum Puschkinplatz waren beide Bürgersteige wegen Kanalarbeiten aufgerissen. Tausende Moskauer quälten sich im Gänsemarsch an der Polizei vorbei. Den unteren Teil der Prachtstraße sperrte die Nationalgarde komplett. Zwischen ihren tarngrün uniformierten Kordons stauten sich 3000 bis 4000 Leute. Sie skandierten immer wieder „Russland, Russland“ und bejubelten einen jungen Mann, der mit einer Russlandflagge auf einem Balkon über den Edelsupermarkt „Jelissejski“ geklettert war. Aber nach etwa einer Stunde griffen auch dort die Fangtrupps ein.

Hunderte Festnahmen

Wie viele Menschen in Moskau auf die Straße gingen, war kaum abschätzbar. Aber gegen 17 Uhr Ortszeit bezifferte das Bürgerrechtsportal OWD-Info die Zahl der Festgenommenen in Moskau auf etwa 700, in Sankt Petersburg auf etwa 300. Dort hatten insgesamt 10 000 Menschen an einem nicht genehmigten Meeting teilgenommen.

In der Provinz verlief der Tag ähnlich. In einigen Städten hatten die Behörden die Kundgebungen erlaubt. „In Ulan Ude verlief alles friedlich und positiv“, twitterte der Nawalny-Anhänger Igor Andrejew. In Nowosibirsk, wo sich etwa 4000 Menschen versammelt hatten, wurde ein Aktivist mit einem Quadrocopter abgeführt. In Kaliningrad nahm die Polizei 30, in Wladiwostok elf Menschen fest.

„Sie fangen diesmal jeden ein, der nur den Mund aufmacht“, sagte Wladimir, ein Moskauer Volkswirtschaftsstudent vor dem Iswestija-Gebäude in Moskau. Der 15-jährige Michail und zwei seiner Klassenkameraden verfolgten die Jagdszenen von einem ummauerten Rasenstück, dass die Polizeifänger mehrmals stürmten. Aber sie hätten keine Angst, sagte Michail. „Es ist doch unser Recht, friedlich zu demonstrieren.“

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