Nachruf Frankreichs Ex-Präsident Jacques Chirac gestorben

Paris · Frankreichs Ex-Präsident Jacques Chirac ist im Alter von 86 Jahren gestorben. Wie kaum ein anderer prägte er das Bild, das die Franzosen von sich selbst und die Welt von Frankreich hatte. Ein Nachruf.

 Jacques Chirac bei einer Ansprache im Jahr 2007.

Jacques Chirac bei einer Ansprache im Jahr 2007.

Foto: dpa/Philippe Wojazer

Nur sehr wenigen Politikern wird zuteil, dass ihr Tun rückblickend als „Ära“ bezeichnet wird. Jacques Chirac erfährt diese große Ehre. Wie kaum ein anderer Mensch prägte er über Jahrzehnte das Bild, das die Franzosen von sich selbst und die Welt von Frankreich hatte. Nun ist Jaques Chirac am Donnerstag im Alter von 86 Jahren gestorben.

Der Blick zurück trägt aber auch die Züge des Verklärenden. Vor allem gegen Ende seines politischen Wirkens zogen dunkle Schatten über das politische Vermächtnis eines Mannes, der im Kampf um die Macht bisweilen rücksichtslos, im Werben um die Gunst des Volkes aber auch überaus sympathisch, populär und fast leutselig sein konnte. So geht Jacques Chirac auch in die Geschichte seines Landes ein, weil er 2011 als erster ehemaliger Staatschef im Nachkriegsfrankreich von einem Gericht schuldig gesprochen wurde.

Im hohen Alter von 79 Jahren wurde er zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt, weil er in seiner Zeit als Pariser Bürgermeister in den 1990er Jahren ein System von Scheinarbeitsstellen aufgebaut hatte. Chirac bezahlte knapp dreißig Mitarbeiter aus der Stadtkasse, obwohl sie gar nicht für die Verwaltung arbeiteten, sondern teils für seine Partei. Der alte Kämpfer akzeptierte das Urteil, er fühlte sich damals schon zu schwach und zu krank für ein nervenaufreibendes Berufungsverfahren.

Ein außenpolitisch unaabhängiges Frankreich

Dieses Urteil kann die große Achtung der Franzosen für Chiracs Lebenswerk aber nicht schmälern. Jenes Mannes, der von 1995 bis 2007 seinem Land als Präsident diente und in dieser Zeit in den Augen seiner Landsleute die Unabhängigkeit Frankreichs gegenüber den USA verteidigte. Gemeinsam mit dem damaligen deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder stemmte er sich 2003 gegen die Angriffspläne des US-Präsidenten George W. Bush im Irak. „Amerika hat seinen eigenen Standpunkt in dieser Sache“, sagte er damals der britischen BBC. „Frankreich hat seinen eigenen und wird ihn nicht ändern.“ Zur großen Genugtuung seiner Landleute verstand sich Jacques Chirac in dieser Angelegenheit ganz in der Tradition des Republikgründers Charles de Gaulle, der immer an einem Kurs eines außenpolitisch unabhängigen Frankreichs festgehalten hatte.

De Gaulle war es auch, der dem am 29. November 1932 in Paris geborenen Sohn aus einer Bankiersfamilie nach dessen Militärdienst in Algerien und einem Abschluss an der Kaderschmiede ENA die Tür zu einer politischen Karriere öffnete. Im Alter von nur 34 Jahren trat der Abgeordnete der zentralfranzösischen Region Corrèze erstmals in die Regierung in Paris als Staatssekretär ein. Schließlich wurde Chirac Anfang der 70er Jahre zum Landwirtschaftsminister. Verheiratet war er damals schon mit Bernadette Chodron de Courcel, eine Aristokratin, mit der er zwei Töchter hatte und die er zeitlebens siezte.

Unter dem neuen Präsidenten Valéry Giscard d'Estaing ging sein Aufstieg nahtlos weiter. Mit gerade einmal 41 Jahren wurde er zum Premierminister ernannt. Doch schnell überwarf sich der ehrgeizige Politiker mit seinem Mentor. Seiner Ansicht nach überließ ihm der liberale Staatschef zu wenig Spielraum. Jacques Chirac zog die Konsequenzen und trat 1976, nach nur zwei Jahren im Amt, zurück.

Gründung der eigenen politischen Vereinigung

Doch für den Machtpolitiker war das nicht das Ende. Chirac gründete seine eigene politische Vereinigung, die RPR, und wurde 1977 zum Bürgermeister von Paris gewählt. Bis 1995 blieb er Oberhaupt der französischen Hauptstadt und versuchte von dort aus, den Elysée-Palast zu erobern, zog gegen den Sozialisten François Mitterrand aber den Kürzeren. Chirac arbeitete aber als Premierminister in den 1980er Jahren in einer politischen Zwangsehe mit Mitterrand zusammen. 1995 ging schließlich sein großer Traum in Erfüllung und er zog in den Elysée-Palast ein.

Eine seiner größten und mutigsten Reden hielt er kurz nach Amtsantritt. Chirac war der Erste, der sich für die Mittäterschaft des Vichy-Regimes an der Juden-Deportation entschuldigte – und damit seiner Nation die Unschuld in der Zeit während des Holocausts nahm.

Koalition gegen Le Pen

Seine Wiederwahl 2002 schaffte Chirac dank einer breiten Koalition gegen den rechtsextremen Gegenkandidaten Jean-Marie Le Pen. Überschattet war Chiracs zweite und letzte Amtszeit vor allem vom „Nein“ der Franzosen zur europäischen Verfassung 2005, was die EU in eine Identitätskrise stürzte. Im selben Jahr erlitt Chirac, der Zeit seines Lebens für seine Vorliebe für deftiges Essen und ein gutes Bier bekannt war, einen Schlaganfall. Danach mied der volksnahe Politiker, der das Bad in der Menge immer genossen hatte, zunehmend die Öffentlichkeit.

Zuletzt blieb der gealterte Staatsmann den meisten Veranstaltungen fern. Im Frühjahr 2016 musst er noch einen schweren Schicksalsschlag verkraften, als seine älteste Tochter Laurence starb. Danach kapselte sich Jacques Chirac völlig von der Außenwelt ab.

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