Kritik nach Festnahme von Akhanli Interpol und der Druck aus Ankara

Berlin · Nach der politisch motivierten Festnahme des türkischstämmigen deutschen Schriftstellers Dogan Akhanli in Spanien wächst der Druck auf die internationale Polizeiorganisation, die Erdogan-Regierung in die Schranken zu weisen.

Die Festnahme des Kölner Schriftstellers Dogan Akhanli hat ein grelles Licht auf eine prekäre Grauzone in der internationalen Polizeikooperation geworfen. Bundeskanzlerin Angela Merkel mahnte die Türkei, Organisationen wie Interpol nicht für politische Zwecke zu missbrauchen. Der Unionsfraktionsvize Stephan Harbarth regte einen Ausschluss der Türkei aus dem Interpol-Verfahren der internationalen Ausschreibungen an.

Auch Niedersachsens SPD-Innenminister Boris Pistorius warnte: „Interpol ist kein Selbstbedienungsladen.“ NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) verlangte klare Signale. „Wenn deutsche Staatsbürger sich jetzt nicht mal mehr innerhalb der EU bewegen können, ohne dass die türkische Justiz hier mit allen Mitteln ihre Rechte einschränken will, dann ist das eine erneute Verschlechterung“, so Laschet.

Tipp aus der Türkei

Akhanli war am Sonntag, eng begleitet von der deutschen Botschaft in Madrid, wieder auf freien Fuß gesetzt worden. Allerdings darf er während der 40-tägigen Frist für die Türkei, Beweise für die Terrorbeschuldigung vorzulegen, die spanische Hauptstadt nicht verlassen.

Sein Anwalt vermutet, die spanische Polizei habe von türkischer Seite einen Tipp bekommen, die aus dem Jahr 2013 stammende „Rote Ausschreibung“ nun bei Akhanlis Spanien-Urlaub vollstrecken zu können. Möglicherweise werden missliebige Türkischstämmige gezielt beobachtet. Der Verfassungsschutz hatte vor verstärkter Aktivität des türkischen Geheimdienstes gewarnt.

Für das Auswärtige Amt ist klar, dass die Vorwürfe gegen Akhanli „nach politischer Verfolgung geradezu riechen“. Deshalb sei es unvorstellbar, dass Madrid Akhanli an die Türkei ausliefert.

Trotz unwahrscheinlicher Auslieferung ist die türkische Verfolgung Oppositioneller via Interpol in den Mittelpunkt gerückt. Damit können Gegner des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan überall in Europa unter Druck gesetzt werden, weil sie bei jeder Personenkontrolle beim Datenabgleich als zur Festnahme ausgeschriebene potenzielle Verbrecher „identifiziert“ werden.

Dabei hat Interpol mit eindeutigen Vorschriften Vorsorge treffen wollen, dass genau das nicht passiert. So verbietet Artikel 3 der Interpolstatuten strikt, die polizeiliche Fahndung zu politisch, militärisch, religiös oder rassistisch motivierten Zwecken zu missbrauchen.

Deutschland prüft "rote Abschreibungen"

Allerdings: Auch China wird vorgeworfen, Regimegegner über Interpol zu verfolgen. Doch wer wurde 2016 neuer Interpolpräsident? Chinas Minister für Sicherheit und Ordnung, Meng Hongwei.

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) empfindet es als „besorgniserregend“, dass die Türkei Interpol „missbraucht hat, um einen missliebigen Oppositionellen im europäischen Ausland verhaften zu lassen“. Zusammen mit allen Interpol-Behörden müsse nun geprüft werden, „wie so etwas künftig verhindert werden kann“, sagte Reul unserer Redaktion.

Gezwungen werden, gegen die eigenen Statuten zu verstoßen, kann Interpol nicht. Und wenn es das doch tut, können die Mitgliedsländer die Meldungen mit spitzen Fingern anfassen. So überprüft das Bundeskriminalamt alle „roten Ausschreibungen“, bevor es sie an die Polizeidienststellen weitergibt. Im Jahr 2015 seien auf diese Weise 72 Verstöße gegen Artikel 3 erfasst worden, berichtet die Bundesregierung auf Anfrage der Linken.

Anders gehen offenbar die spanischen Behörden mit Festnahmewünschen Ankaras um. So war zehn Tage zuvor auch schon der schwedische Schriftsteller Hamza Yalcin in Barcelona festgenommen worden. Auch er stand auf einer „roten Ausschreibung“ aus der Türkei. Der Vorwurf: Beleidigung Erdogans und angebliche Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Über Interpol hatte die Türkei auch schon eine Liste mit 700 „terrorverdächtigen“ deutschen Unternehmen verteilt. Nach deutschen Warnungen vor Türkeireisen zog Ankara die Liste zurück und sprach von einem „Kommunikationsproblem“. Das hätten sich Yalcin und Akhanli sicherlich auch gewünscht.

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