Gemeinsames Feindbild Giftanschlag im englischen Salisbury vereint EU-Staaten gegen Russland

Brüssel · Durch den Nervengiftanschlag in Großbritannien schließen die EU-Staaten ihre Reihen und bilden eine Front gegen Russland. Beim EU-Außenministertreffen am Montag wird ein Solidaritätsbekennen erwartet.

Die EU schmiedet an einer Allianz gegen Russland. Der Giftanschlag auf britischem Boden hat die Wut auf Moskaus Politik der Nadelstiche gegen den Westen eskalieren lassen. Nun haben die europäischen Partner ein gemeinsames Feindbild, mit dem sie die Reihen schließen können.

Eigentlich wollten die EU-Außenminister am Montag über den Brexit beraten. Doch die Tagesordnung wird gerade umgestellt: Signale gegen Großbritannien kann die Union gerade nicht brauchen. Stattdessen werden die Außenamtschefs in seltener Einigkeit einen Schulterschluss vollziehen und sich an die Seite Londons stellen. So wie am Donnerstag auch die Staats- und Regierungschefs der EU bei ihrem Frühjahrsgipfel in Brüssel.

„Ich möchte meine volle Solidarität mit Premierministerin Theresa May zum Ausdruck bringen angesichts dieses brutalen, höchstwahrscheinlich aus Moskau angeregten Anschlags“, hatte Ratspräsident Donald Tusk bereits Mitte dieser Woche getwittert. Welche ein Stimmungswandel: Zum ersten Mal seit Monaten wird die britische Regierungschefin die Runde der Amtskollegen in Brüssel nicht mehr wie ein geprügelter Hund verlassen müssen, während die anderen ohne sie weitertagen.

Zu viele Sticheleien seitens Russland

Die Annexion der Krim, die anhaltenden Kämpfe in der Ostukraine, der russische Militäreinsatz in Syrien, die Rolle des Kremls im amerikanischen Wahlkampf, die Cyberattacken Moskaus gegen das Regierungsnetzwerk in Berlin und nun der Giftgas-Anschlag – die Liste ist lang und dokumentiert in den Augen der Europäer, dass Russland westliche Werte mit Füßen tritt.

Die Beziehungen zwischen der Gemeinschaft und Russland sind „seit 2017 von einem tiefen Zerwürfnis über die wünschenswerte Ordnung Europas und der Welt gekennzeichnet, von gegenseitigen Sanktionen sowie politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entflechtungstendenzen“, schreibt Sabine Fischer von der Stiftung Wirtschaft und Politik in Berlin.

Putin habe immer konsequenter darauf gesetzt, eine starke EU zu verhindern, ja sie zu spalten. Nicht zuletzt durch intensive Kontakte zu den rechtsextremen Kräften in Europa: Im Mai 2017 während des französischen Präsidentschaftswahlkampfes hatte beispielsweise die Chefin der damaligen Front National, Marine Le Pen, eine „substanzielle Verbesserung des Verhältnisses zu Russland“ angekündigt.

Europäischen Boykott der Fußballweltmeisterschaft?

Doch wie es aussieht, hat sich der russische Präsident verkalkuliert. Zwar taten sich die Befürworter der Strafmaßnahmen gegen Moskau, die gerade erst um weitere sechs Monate verlängert wurden, immer schwerer, die Gegner wie Griechenland, die Niederlande, Ungarn, Tschechien und neuerdings auch Italien bei der Stange zu halten.

Damit scheint es jetzt vorbei zu sein: Die EU hat wieder ein gemeinsames Feindbild, dass die in anderen Fragen tief zerstrittenen Partner im Osten und im Westen zusammenschweißt. „Wir werden eine einheitliche Position beziehen“, kündigte Bundeskanzlerin Angela Merkel in dieser Woche an.

Noch vermied die britische Premierministerin es, die Solidarität der europäischen Familie offiziell einzufordern und neue Sanktionen zu erlassen. Doch damit sei spätestens beim Gipfel zu rechnen, heißt es in Brüssel. Dann käme es zum Schwur. Am Freitag war nicht zu erkennen, dass sich irgendein Staat angesichts des Giftanschlags gegen eine solche Verschärfung aussprechen wird. „Großbritannien kann sich in jeder Hinsicht auf die Unterstützung Polens verlassen“, kündigte zum Beispiel Michael Dworczyk, Leiter des Ministerpräsidentenamtes in Warschau, an.

Und er sagte auch, was Polen darunter versteht: Die Regierung könnte in Brüssel für einen europäischen Boykott der Fußballweltmeisterschaft in Russland werben. Bundeskanzlerin Angela Merkel stellte mit Blick auf die deutsche Mannschaft aber schon einmal klar: „Davon halte ich nichts.“

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