Kommentar zur Regierungssuche in Spanien Geisterfahrt

Meinung | Madrid · Spaniens Spitzenpolitiker haben sich als unfähig erwiesen, einen mehrheitsfähigen Regierungspakt auszuhandeln. Für Spanien und für Europa ist das eine katastrophale Nachricht

 Spaniens Spitzenpolitikern haben sich als unfähig erwiesen, einen mehrheitsfähigen Regierungspakt auszuhandeln.

Spaniens Spitzenpolitikern haben sich als unfähig erwiesen, einen mehrheitsfähigen Regierungspakt auszuhandeln.

Foto: picture alliance / dpa

Der frühere europäische Musterschüler Spanien wird zunehmend zum großen Sorgenkind der EU: Seit 250 Tagen treibt das Land ohne gewählte Regierung vor sich hin. Mangels klarer Mehrheiten im Parlament sieht es nicht so aus, als ob sich an dieser Geisterfahrt in den nächsten Monaten etwas ändern würde.

Nun könnte es sogar sein, dass der königliche Staatschef Felipe zum dritten Mal innerhalb eines Jahres Wahlen ansetzen muss. In der Hoffnung, dass die spanischen Bürger an den Urnen dann endlich für klare Machtverhältnisse sorgen. Von Spaniens Spitzenpolitikern, die sich als unfähig erwiesen, einen mehrheitsfähigen Regierungspakt auszuhandeln, sind derzeit offenbar keine Lösungen zu erwarten.

Für Spanien und für Europa ist dies eine katastrophale Nachricht. Das südeuropäische EU-Schwergewicht, das sich noch immer nicht völlig aus der Schulden- und Wirtschaftskrise befreit hat, droht wieder abzustürzen. Mangels stabiler Regierung wurde dieses Jahr noch kein einziges Gesetz verabschiedet: keine Reformen, keine Sparbeschlüsse, auch kein Haushaltsentwurf für 2017. Es ist ein gespenstischer Stillstand, der für die EU zum großen Problem werden und die ohnehin schon angeschlagene Euro-Zone weiter schwächen könnte.

Die Folgen des Machtvakuums sind in Spanien jetzt schon sichtbar: Der Staat hat Investitionen in neue Straßen, Schulen oder Krankenhäuser gestoppt. Die Privatwirtschaft schiebt Investitionen im Inland auf, weil die Rahmenbedingungen unkalkulierbar sind. Spaniens Gesamtschuldenberg wird derweil immer größer, das Haushaltsdefizit ist außer Kontrolle. Die Bürger sind empört über eine politische Elite, die nicht in der Lage ist, eine der schlimmsten politischen Krisen in der 40-jährigen Demokratiegeschichte zu lösen.

Auch der iberische Krisennachbar Portugal bereitet Brüssel Kopfzerbrechen. Dort gibt es zwar eine gewählte Regierung, die seit zehn Monaten von dem Sozialisten António Costa angeführt wird. Dieser hat aber der bisherigen von Brüssel diktierten Austeritätspolitik den Krieg erklärt und macht reihenweise frühere Sparbeschlüsse und Reformen rückgängig.

Die Versprechen, dass der Etat und das Defizit unter Kontrolle seien, hatten in Portugal wie in Spanien in der Vergangenheit keinen großen Wert. Auch die offiziellen Meldungen zum Wirtschaftswachstum in Südeuropa sind mit Vorsicht zu genießen. Denn in Spanien wie in Portugal zieht vor allem der Tourismusboom den Karren. Beide Länder, die derzeit als sichere Reiseziele gelten, profitieren von der aktuellen Terrorangst der Europäer. Doch der iberische Touristenrekord nährt eine ungesunde wirtschaftliche Monokultur. Experten warnen deshalb: Der nächste Crash droht, wenn die Urlaubsblase plötzlich platzt.

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