Die Queen wird 90 Einfach immer da

London · Die Queen wird 90. Was bedeutet Königin Elizabeth II. den Briten? Sie ist das mit Abstand beliebteste Mitglied der royalen Familie. Selbst Monarchiegegner verlieren kaum ein kritisches Wort über sie.

 Das Foto für Briefmarkenmotive der Royal Mail zeigt vier Generationen auf einem Bild: Prinz Charles, die Queen, Prinz George und Prinz William.

Das Foto für Briefmarkenmotive der Royal Mail zeigt vier Generationen auf einem Bild: Prinz Charles, die Queen, Prinz George und Prinz William.

Foto: picture alliance / dpa

Elizabeth war da, während nebenan die Bomben fielen. Und Betty saß im Wohnzimmer und lauschte aufmerksam und beeindruckt der hohen Stimme, die blechern aus dem Radio drang. Die 14-jährige Prinzessin Elizabeth redete im Kinderprogramm der BBC ihren Altersgenossen Mut zu. Für die zwei Jahre jüngere Betty war die junge „Lilibet“ wie ein Rettungsanker. Es herrschte der Zweite Weltkrieg, und die Thronfolgerin hielt ihre erste Rundfunkansprache.

Elizabeth ist noch immer da. Während Großbritannien derzeit über den Verbleib in der EU streitet und Premierminister David Cameron seine Steuergeschichten in der Öffentlichkeit aufdröselt, steht die Königin über allem. Unaufgeregt, mit viel Symbolik und Pflichtbewusstsein, führt sie seit mehr als 64 Jahren ihren Dienst am Volk aus. „Sie hat ihr Leben dafür geopfert“, so nennt es die heute 88-jährige Betty – ganz so, wie es die Thronfolgerin bereits mit 21 Jahren versprochen hat. Auch damals klebte Betty am Radio. Die Queen hat Wort gehalten und geht in ihrer verfassungsgemäßen Aufgabe des Herrschens, aber Nicht-Regierens auf, seit sie nach dem Tod ihres Vaters, König George VI., über Nacht zum Staatsoberhaupt eines schwächelnden Reichs wurde, von dem der Glanz des einstigen Empires bröckelte.

Gestützt auf ihren Gehstock schlendert die Royalistin Betty an der Themse in Windsor entlang. Zu Hause liegen bereits die Banner auf dem Tisch, die sie ans Fenster hängen will, wenn Königin Elizabeth II.heute zu ihrem 90. Geburtstag durch das Städtchen spaziert. Die Briten nennen diese Zusammenstöße mit den Untertanen „Walkabouts“. Elizabeth II. hat sie im Jahr 1970 erfunden. Die Rekord-Regentin, die im vergangenen Jahr ihre Ururgroßmutter Victoria überholt hat, wird in gewohnt farbenfrohem Kostüm, die Handtasche locker baumelnd am Arm, Hände schütteln, Smalltalk führen, Gratulationen entgegennehmen, für Fotos posieren. Sie wird mit strenger Disziplin ihren Job erledigen und Tausende Menschen werden ihr anerkennend zujubeln. Tagein, tagaus, jahrein, jahraus dasselbe Bild. Heutzutage gehe alles viel zu schnell, klagt Betty, „da tut die Stabilität und Kontinuität, die die Königin ausstrahlt, gut“. Tatsächlich unterstützen rund 70 Prozent der Bevölkerung das Königshaus und meinen damit vor allem Elizabeth II. Die Queen ist die Monarchie, die Monarchie ist die Queen.

An ihrem Ehrentag steht also Windsor auf dem Programm, jener Ort, wo sich alles royal schimpft, was einen Namen trägt. Ein Pub heißt „The Royal Oak“, das Theater kommt nicht ohne den Zusatz „Royal“ aus, über dem Eingang zur Einkaufspassage „Windsor Royal Shopping“ hängen Wappen, die die Nähe zur Monarchie verdeutlichen. Immerhin: Königin Elizabeth II. wohnt viele Tage im Jahr nur wenige Schritte entfernt in Schloss Windsor.

„Sie ist unsere bedeutendste Einwohnerin“, sagt Barbara, die im Touristenbüro arbeitet und für die die Beschreibung „glühende Queen-Anhängerin“ die Untertreibung des Jahrhunderts wäre. „Sie ist absolut unglaublich und die einzige Person, die konstant im Leben von fast jedem Briten gewesen ist.“ Die Queen sei loyal und eine Ikone. Überhaupt: „Wir haben sehr viel Glück, sie als Staatsoberhaupt zu haben.“ Ihre Stimme überschlägt sich in der „Wir“-Form fast. „Wir lieben sie über alles.“ Barbara zeigt in Richtung des Schlosses, wo die Fahne weht. Ihre Majestät ist zu Hause. 1078 erbaut, ist es das älteste durchgängig bewohnte Schloss der Welt. Der Bau auf dem Hügel, umgeben vom getrimmten Englischen Rasen, scheint durch die gewaltige Größe und trotz der dicken Mauern über dem Ort zu schweben. Windsor Castle lockt jedes Jahr Millionen Besucher an.

Einige Stunden zuvor ist das Ehepaar Yates in den Zug nach Windsor gestiegen. Peter und Maired freuen sich an diesem Morgen auf eine Woche Urlaub auf einem Boot auf der Themse, eigentlich leben sie in Cornwall. Der größte Pluspunkt der Royals? „Sie bringen Touristen ins Land“, sagt der 65-Jährige. Und auch wenn er keine besondere Zuneigung zur Queen hegt, erkennt er doch an, dass sie einen „sehr guten Job“ mache. „Guten Morgen Ladies und Gentlemen, willkommen an Bord des Zuges nach Windsor & Eton Riverside“, hallt die Stimme des Schaffners aus den Lautsprechern, während der Zug an Londoner Vororten vorbeizieht mit den für Großbritannien typischen endlosen Reihenhaussiedlungen, die vor allem dadurch auffallen, dass sie sich in keinster Weise unterscheiden. Dann Wiesen. Felder. Ein See. Golfplatz. Industriegebiet. Ein Park. Die Sonne zwängt sich durch die dicken Wolken hindurch und Mairead Yates ruft, ebenfalls sehr britisch: „What a lovely day!“ Sie liest Zeitung, in der mal wieder über den bevorstehenden runden Geburtstag der Monarchin berichtet wird.

„Die Queen vermittelt den Eindruck der selbstlosen Hingabe und ich denke, niemand wird diese Rolle je wieder so ausfüllen können“, sagt der 65-jährige Peter. „Ein Teil von mir ist stolz darauf, dass sie als Persönlichkeit in der Welt ungeheuer bewundert wird“, sagt Mairead. „Sie bietet eine gute Leistung für ihr Geld.“ Und trotzdem: „Ich weiß nicht, ob wir die Monarchie weiterhin in dem Ausmaß finanzieren sollten, wie wir das bislang tun“, schränkt Mairead ein und beeilt sich hinzuzufügen, dass sie nicht die Königin meine, sondern den Tross um sie herum, die leidige Verwandtschaft. Dabei kündigte die pragmatische Elizabeth II. im Jahr 1992 unter dem Druck der Öffentlichkeit an, künftig Steuern zu bezahlen. Schloss Windsor brannte damals halb nieder und Widerstand kam auf, als der Staat die Kosten des Wiederaufbaus übernehmen wollte. Ausgerechnet zu einer Zeit, in der royale Eskapaden die Schlagzeilen auf der Insel dominierten. Die Queen zeigte sogar ganz untypisch offiziell Emotionen, als sie das Jahr zu einem „annus horribilis“, einem „Schreckensjahr“, erklärte, weil Trennungen, Enthüllungen, Affären und Kapriolen ihrer Kinder das Bild der heilen Windsor'schen Familienwelt zerstörten. Offenbar wurde aber nur, wie scheinheilig es war.

„Dass sie dieses Diana-Ding überlebt hat.“ Mairead Yates schüttelt den Kopf. „Es hätte auch alles schiefgehen können.“ Tatsächlich sank die Popularität der Queen nach dem Tod von Prinzessin Diana 1997 auf den Tiefpunkt. Die Monarchie geriet für einen Moment ins Wanken, weil Elizabeth II. mit ihrem zögerlichen Verhalten das Volk erzürnte. Erst nachdem sie in ein Staatsbegräbnis für die ungeliebte Ex-Schwiegertochter einwilligte und sich vor Dianas Sarg verbeugte, zeigten sich die Briten versöhnlich.

Jennifer sitzt auf einem der abgewetzten roten Sitze, während ihr vierjähriger Sohn durchs Zugabteil tobt. Erst ist sie wenig gesprächig. Aber über die Queen plaudern? Klar, gerne. „Sie trägt zu unserer DNA bei, zu unserer Britishness“, sagt die 34-Jährige. Es scheint schwer, einen Briten zu finden, der keine positiven Worte für das Staatsoberhaupt übrig hat. An diesem Freitagmorgen, in einem willkürlichen Zug nach Windsor, ist es ein Ding der Unmöglichkeit. Jennifer etwa sieht Elizabeth II. vielmehr in ihrem Pflichtbewusstsein und der Disziplin, in ihrem Fleiß und der Beständigkeit „als Vorbild für jede Generation“.

Dabei hilft das Image als bodenständige Frau, das die Queen stets zu pflegen wusste. Sie ist geprägt vom Sparzwang der Kriegs- und Nachkriegszeit und am liebsten präsentiert sie sich in Gummistiefeln in der Natur, umgeben von Tieren. „Sie mag Hunde, Pferde, Männer und Frauen – und zwar in dieser Reihenfolge“, schrieb einmal Biograf Graham Turner.

Gleichwohl hat sie die Inszenierung der Monarchie zur Perfektion geführt. Ob Krönung, Hochzeiten, Thronjubiläen oder Geburtstage – Großbritannien feiert nicht nur gerne die Regentin, sondern stets sich selbst. Die Queen sei eine Institution, sagt der 40 Jahre alte Londoner Niklas, der seine Familie an diesem Tag ins Legoland nahe Windsor ausführt. Für Niklas bedeutet sie fast so etwas wie eine Großmutter. Ihre Majestät, sie gehört für viele zur Familie. „Sie war da, lange bevor ich geboren wurde, und seitdem hat sich nichts verändert.“ Nur eines ist ihm wichtig: Dass sie sich aus dem politischen Geschäft heraushält. „Das würde das Ende der Monarchie bedeuten“. Der Zug fährt in Windsor ein. Seine Tochter hält es kaum auf dem Sitz. Sie hat Geburtstag und trägt eine glitzernde Krone auf dem Kopf. Heute will sie Prinzessin sein.

Palastkritiker bemängeln die Profillosigkeit des Staatsoberhaupts und eine fehlende Innovationskraft. Sie habe keine Akzente in der Gesellschaft gesetzt. Doch lag darin nicht gerade das Geheimnis ihrer Beliebtheit? Die Unnahbare hat die Palastvorhänge stets nur einen Spaltweit aufgezogen, um das Rätselhafte ihrer Person und die Magie der Monarchie zu bewahren. Die Distanz hat funktioniert. So schwärmt die 88-jährige Betty von der Königin, wie ein Teenager einen Popstar anhimmelt. „Sie hat diese innere Stärke, die ich so bewundere.“ „My dear“, sagt sie fröhlich. „Ich habe ein langes Leben gelebt.“ Es war ein gutes Leben. Doch wenn die Queen jemals gehen sollte und damit das für die Briten Unvorstellbare eintritt, dann hoffe sie, dass sie ihr nicht lange danach folgen werde. „Ohne sie will ich nicht hier sein.“

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