Porträt über Ratspräsidenten der EU Donald Tusk war der Mann, der Merkel einschloss

Brüssel · Donald Tusk scheidet als Ratspräsident der Europäischen Union Ende des Monats aus. Der Pole bleibt aber als mächtiger Chef der Europäischen Volkspartei in Brüssel. Ein Porträt.

 Donald Tusk sagt „Auf Wiedersehen“ als EU-Ratspräsident und „Hallo“ als Vorsitzender der Europäischen Volkspartei.

Donald Tusk sagt „Auf Wiedersehen“ als EU-Ratspräsident und „Hallo“ als Vorsitzender der Europäischen Volkspartei.

Foto: dpa/Michael Kappeler

Seine letzte große Rede hat er inzwischen gehalten. Schweigen wird Donald Tusk dennoch nicht, wenn der Ratspräsident der Europäischen Union am 1. Dezember sein Amt nach fünf Jahren verlässt. Denn der neue Schreibtisch des 62-jährigen früheren polnischen Ministerpräsidenten steht auch in Brüssel.

Nur ein paar Straßen trennen das hochmoderne EU-Ratsgebäude von der Zentrale der Europäischen Volkspartei (EVP), dem Dachverband von mehr als 50 christdemokratischen Parteien in der EU. In dieser Woche wählen sie Tusk zu ihrem künftigen Vorsitzenden – ein machtvoller Job für einen Strippenzieher, der zwar immer auch für die Union sprach, aber doch viel mehr im Hintergrund wirkte. Wie in jener Nacht auf den 12. Juli 2015, als die Eurozone unmittelbar vor dem Zusammenbruch stand.

Es ging einmal mehr um Griechenland und die Finanzierung des gewaltigen Schuldenberges. Bundeskanzlerin Angela Merkel und der damalige Athener Regierungschef Alexis Tsipras stritten bis um vier Uhr morgens miteinander und wollten schon ohne Einigung auseinandergehen. Heute kann Tusk erzählen, was damals geschah: „Ich schloss die Tür und sagte ihnen: ‚Sorry, aber es ist ausgeschlossen, dass ihr diesen Raum verlasst, bevor ihr euch einig werdet.‘“

Weitere vier Stunden später gab es ein „aGreekment“, wie er schmunzelnd in Anlehnung an das englische „Agreement“ (Vereinbarung) sagt. Er habe in diesen Jahren immer wieder „die Griechen vor einer übermäßig harten und manchmal unorthodoxen Herangehensweise der Deutschen und der Niederländer beschützt.“

Tusk war unbequem und er bleibt es bis zum Schluss. Den französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron attackierte er in seiner letzten Rede in der Vorwoche wegen dessen Forderung nach einer neuen Russlandpolitik („Nicht mit mir, Emmanuel“). Den britischen Brexiteers hielt er vor, ihr Land werde nach dem Austritt aus der EU „ein zweitklassiger Spieler, während das wichtigste Schlachtfeld von China, den USA und der EU besetzt sein wird“.

Politisch ist Tusk ein Kind der Solidarnosc-Ära Anfang der 1980er Jahre in Polen. Er gründete den Studentenbund, in dem sich die jungen Gegner des kommunistischen Regimes versammelten. Während der Streiks der Werftarbeiter in seiner Geburtsstadt Danzig arbeitete er als Journalist, bekam nach der Verhängung des Kriegsrechts 1981 Berufsverbot. Er nahm einen Ersatzjob bei einer Genossenschaft an, wo er riskante Montagearbeiten in großen Höhen durchzuführen hatte.

Tusk tauchte monatelang kaum auf, bis er sprachlich sicher war

Nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Staates gründete er die liberalkonservative Partei und verlor 2005 die Stichwahl um das Präsidentenamt – gegen Lech Kaczynski, den später verstorbenen Zwillingsbruder des heutigen PiS-Parteichefs Jaroslaw. Die Revanche folgte zwei Jahre darauf, als Tusk gegen Jaroslaw Kaczynski im Kampf um den Stuhl des Premierministers antrat und gewann. Tusk bereitete den Beitritt Polens in die EU vor, normalisierte die Beziehungen zu Deutschland.

2014 wählten ihn die Staats- und Regierungschefs zum Ratspräsidenten der Union. Seine Aufgabe dabei: Er leitete die Gipfeltreffen und muss Kompromisslinien finden. Sein Start in Brüssel war hart. Denn Tusk musste erst einmal Englisch lernen, was er inzwischen fließend beherrscht. Außerdem umgab er sich – entgegen der europäischen Tradition – zunächst nur mit Landsleuten, die den neuen Präsidenten abschirmten.

Der Pole tauchte monatelang kaum auf, bis er sprachlich sicher genug war und begann, sich zu Wort zu melden. Und das tat er stets mit Macht – vor allem aber ohne jede Scheu vor Konfrontation. Noch Anfang Oktober dieses Jahres griff der Pole, der seit Jahren seine Botschaften über den Kurznachrichtendienst Twitter verbreitet, den britischen Premier Boris Johnson frontal an: „Sie wollen keinen Deal, Sie wollen keine Fristverlängerung, Sie wollen den Austritt nicht widerrufen – was wollen Sie denn?“ Diplomatie blieb nicht seine Stärke – und genau deshalb wurde Tusk als politischer Gegner geschätzt und gefürchtet.

Jahrelang sorgte er dafür, dass die Schlussfolgerungen am Ende der EU-Gipfel stets einen bestimmten Satz zum Brexit enthielten, mit dem er den Briten sagte: „Sollten Sie Ihre Meinung zum Austritt ändern, wird die Europäische Union das Vereinigte Königreich mit offenen Armen empfangen.“ Der Brexit – ihn hat er vom ersten Tag an bekämpft. Er wird es wohl weiter tun.

Lange hatte der scheidende Ratspräsident darüber nachgedacht, dem Ruf der polnischen Opposition zu folgen und bei den nächsten Präsidentschaftswahlen gegen den national-konservativen Amtsinhaber Andrzej Duda anzutreten. Er entschied sich dagegen, weil er sich „durch schwierige, unpopuläre Entscheidungen belastet“ fühlt. Tusk hatte vor Jahren die Rente mit 67 eingeführt.

Noch gravierender aber dürfte wohl sein, dass derzeit in Warschau gegen ihn und seine damalige Nachfolgerin als Ministerpräsidentin Ewa Kopacz ein Verfahren wegen organisiertem Mehrwertsteuerbetrug in Millionenhöhe vorbereitet wird. Sollte der Pole wirklich ernsthaft an eine Rückkehr ins Präsidentenamt seiner Heimat gedacht haben, waren diese Pläne spätestens damit zu Ende.

Nun rückt er an die Spitze der europäischen Christdemokraten. Und es ist absehbar, dass sich Tusk auch künftig nicht nur in Brüssel mit deutlichen Worten einmischen wird – und damit eine Rolle übernimmt, die gut tut.

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