Jerusalemer Universität verleiht Bundespräsident Gauck die Ehrendoktorwürde "Die Vergangenheit wird nicht vergehen"

JERUSALEM · Den Blick darf sich kein Besucher der Hebräischen Universität entgehen lassen, und schon gar nicht ein frisch gebackener Ehrendoktor: Vom Dach der Jerusalemer Hochschule schaute Bundespräsident Joachim Gauck gestern auf die Berge der Judäischen Wüste, hinter denen sich das Tote Meer erstreckt.

 Israels Präsident Reuven Rivlin (rechts) mit Bundespräsident Joachim Gauck in Jerusalem.

Israels Präsident Reuven Rivlin (rechts) mit Bundespräsident Joachim Gauck in Jerusalem.

Foto: dpa

Dort oben lässt sich gut erfassen, wie klein Israel ist: In anderthalb Autostunden hat man das Land in seiner ganzen Breite vom Mittelmeer bis zur jordanischen Grenze durchfahren.

Gaucks zweitägiger Besuch rundete die Gedenkfeiern zum 50-jährigen Bestehen der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel ab, die in beiden Ländern mit Hunderten von Veranstaltungen gewürdigt wurden. Im Mai hatte Staatspräsident Reuven Rivlin die Bundesrepublik besucht, nun stattete Gauck die Gegenvisite ab. Die Universität verlieh ihm dabei die Ehrendoktorwürde "für sein Engagement für ein freies und wiedervereinigtes Deutschland und seinen weltweiten Einsatz gegen Rassismus, Extremismus und Antisemitismus".

In seiner Dankesrede erinnerte Gauck daran, dass insbesondere deutschsprachige Juden die Hebräische Universität geprägt hatten, überzeugte Zionisten ebenso wie Verfolgte aus Nazi-Deutschland. Bereits 1923 hatte der junge Nobelpreisträger Albert Einstein die erste Vorlesung gehalten, denn die Hochschule bestand lange vor der Gründung Israels. Ende der 50er Jahre knüpften schließlich Wissenschaftler die ersten Kontakte zwischen Deutschen und Israelis nach dem Holocaust, bevor 1965 offiziell die diplomatischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Israel aufgenommen wurden.

Der Bundespräsident betonte, dass er als Ostdeutscher Israel erst nach dem Zusammenbruch der DDR habe besuchen können, weil diese eine anti-israelische Politik betrieben habe. "Den Überlebenden der Schoah verweigerte sie fast jede Solidarität." Die DDR habe sich stattdessen mit den arabischen Staaten verbündet, die Palästinensische Befreiungsorganisation mit Waffen beliefert und ihre Kämpfer ausgebildet.

Gauck und Rivlin hatten am Samstagabend in Tel Aviv ein Konzert mit dem Leipziger Thomanerchor und dem Gewandhausorchester besucht. Dabei hatte eine Holocaust-Überlebende den Bundespräsidenten umarmt und geküsst. Gauck sagte, wenn Rivlin, der 1965 noch zu den Studenten gehörte, die den Antrittsbesuch des ersten bundesdeutschen Botschafters in Jerusalem mit ihrem Protest störten, das heutige Verhältnis als "Freundschaft" bezeichne, so wirke das wie ein Wunder. Tatsächlich aber hätten an diesem Wunder viele Menschen mitgewirkt. "Die Vergangenheit wird nicht vergehen", erklärte der 75-Jährige. Sie könne aber auch nicht mehr allein Gegenwart und Zukunft bestimmen.

Gauck machte deutlich, dass die Terroranschläge in Paris seine Perspektive auf Israel verändert haben: "Jetzt, wo der Terror näher an uns in Westeuropa heranrückt, kann ich besser jene Bedrohung erfassen, in der die Israelis seit Jahrzehnten leben."

Gleichwohl verteidigte der Bundespräsident beim anschließenden Treffen mit Rivlin, dass Deutschland das Atomabkommen mit dem Iran mitverhandelt und verabschiedet hat. "Wenn Deutschland sich in dieser Weise einbringt, geht das nicht gegen die Interessen Israels." Sondern dahinter stünden "Gestaltungswillen und Verantwortung" der deutschen Diplomatie. Für die Bundesregierung gelte: "Kein politisch Verantwortlicher jetzt und in Zukunft wird davon abstehen, ein Verteidiger des Selbstbestimmungsrechts und des Lebensrechts Israels zu sein."

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