Gesundheit Die ungenießbaren Abgeordneten

Brüssel · Die EU- Kommission will die Zulassung des umstrittenen Pflanzenschutzmittels Glyphosat in der nächsten Woche verlängern. Mit einem Urin-Test machen Parlamentarier dagegen Front.

 Ein Landwirt versprüht auf einem Feld Pflanzenschutzmittel.

Ein Landwirt versprüht auf einem Feld Pflanzenschutzmittel.

Foto: picture alliance / dpa

Sven Giegold bemühte sich gestern um Galgenhumor: „Nach Trinkwasserstandards gelte ich jetzt offiziell als ungenießbar. Mein Urin enthält 20 Mal so viel Glyphosat wie das Bundesinstitut für Risikobewertung für Trinkwasser erlaubt.“ Der Europa-Abgeordnete der Grünen-Fraktion ist einer von insgesamt 48 Volksvertretern, die sich am Rande einer Debatte um das Pflanzenschutzmittel Glyphosat testen ließen – für 85,68 Euro pro Person.

In diesen Tagen trudelten die Ergebnisse in den Abgeordneten-Büros ein: Alle Volksvertreter waren mit durchschnittlich 1,7 Nanogramm je Milliliter (ng/ml) mit Rückständen belastet. Für Trinkwasser gelten 0,1 ng/ml als hinnehmbar. Bei der bisher weltweit größten Untersuchung von Glyphosat-Rückständen in der Bevölkerung wurden im Winter 2015/16 in Deutschland ähnlich dramatische Werte festgestellt: In nur acht von 2009 Urinproben gab es keine Spuren des Wirkstoffes.

Brüssel will Zulassung von Glyphosat verlängern

Dennoch wird die Brüsseler EU-Kommission in der kommenden Woche die umstrittene Zulassung des Herbizids verlängern – und dabei nahezu alle Bedenken des EU-Parlamentes übergehen. In einem Vorschlagspapier, das unserem Brüsseler Büro vorliegt, heißt es, die „erneute Genehmigung von Glyphosat ist angebracht“. Allerdings rückte die EU-Behörde von ihrem ursprünglichen Plan, die Zulassung für weitere 15 Jahre auszusprechen, ab und kam den Abgeordneten, die für höchsten sieben Jahre plädiert hatten, entgegen: Bis zum Sommer 2025 (also neun weitere Jahre) dürfen Landwirte und Hobbygärtner das umstrittene Pflanzenschutzmittel weiter ausbringen.

Auch der Forderung der Volksvertreter, das Verspritzen von Glyphosat in öffentlichen Parks, auf Kinderspielplätzen und Bahnanlagen zu untersagen, kommt die Kommission der Vorlage zufolge nur sehr zurückhaltend nach: Die Mitgliedstaaten werden lediglich ermahnt, eventuelle Auswirkungen auf Pflanzen und Menschen „besonders zu beobachten“. Sollte es neue wissenschaftliche Erkenntnisse geben und der Wirkstoff doch als gesundheitlich bedenklich eingestuft werden müssen, will Brüssel die Zulassung sofort entziehen.

Doch genau diese Untersuchungen liegen längst vor, erklärte die Grünen-Europa-Politikerin und Bäuerin Maria Heubuch gestern. „Die Europäische Lebensmittelbehörde weigert sich nach wie vor, sechs Schlüsselstudien zu veröffentlichen.“ Dabei stufe die Weltgesundheitsorganisation (WHO) selbst das Präparat als „wahrscheinlich krebserregend“ ein.

Das ist richtig, doch nicht nur der US-Hersteller Monsanto, der mit Glyphosat unter dem Markennamen „Roundup“ einen geschätzten Jahresumsatz von 4,8 Milliarden Euro macht, sondern auch das deutsche Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BLV) vertritt die Auffassung, dass der Wirkstoff „bei sachgerechter und bestimmungsgemäßer Anwendung keine Gefahren für Mensch und Tier“ berge. Die EU-Agentur für Lebensmittelsicherheit im italienischen Parma unterstützte diese Ansicht und empfahl der Kommission, die am Jahresanfang ausgelaufene Zulassung zu verlängern.

Dass eine Mehrheit für die Zulassung zusammenkommt, ist nicht sicher

Dennoch ist nicht wirklich sicher, dass es Mitte nächster Woche, wenn die Vertreter der Mitgliedstaaten über die Zulassung abstimmen, zu der notwendigen qualifizierten Mehrheit kommt. Frankreich, Italien und Schweden wollen gegen eine weitere Nutzung votieren. Bulgarien, Griechenland, Luxemburg, Malta, Österreich und Slowenien erwägen offenbar eine Enthaltung. Selbst in Deutschland, das sich in den bisherigen Beratungen stets für den weiteren Einsatz von Glyphosat stark gemacht hatte, kippt die Stimmung: Zumindest die SPD-geführten Ministerien wollen nicht mitmachen – damit müsste sich Deutschland enthalten.

„Solange wir nicht zweifelsfrei wissen, ob Glyphosat für die Gesundheit unbedenklich ist, sollten wir diese Chemikalie auch nicht zulassen“, sagte Bundesumweltministerin Barbara Hendricks gestern. Prompt kritisierte Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) die „Rolle rückwärts“ der SPD-Minister: „Zuverlässiges und belastbares Regierungshandeln sieht anders aus“, schimpfte er. Allerdings könnte die EU-Kommission Glyphosat auch im Alleingang durchwinken.

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