Lebensmittelverschwendung Damit die Tonne leer bleibt

FRANKREICH · Mit einem grellen Piep zieht die Kassiererin die Champignons über den Scanner. Zwei Sekunden später werden die Pilze von einem daneben stehenden Mann in eine Mülltonne geworfen.

 Ein Drittel der gekauften Lebensmittel in Deutschland landet im Abfall. Mehr noch: Bereits bevor die Waren in den Supermarkt kommen, wird aussortiert.

Ein Drittel der gekauften Lebensmittel in Deutschland landet im Abfall. Mehr noch: Bereits bevor die Waren in den Supermarkt kommen, wird aussortiert.

Foto: dpa

Die Kundin hat noch nicht einmal bezahlt, beobachtet das Geschehen, wehrt sich aber nicht. Das gleiche Schicksal ereilt den Joghurt sowie die Packung Eier auf dem Band. Die Kundin zahlt den kompletten Einkauf ohne Widerworte.

Die Szene ist zwar nicht real, sondern nur Bestandteil eines Youtube-Videos, zeigt aber sehr deutlich, wie der weit verbreitete Umgang der Industriegesellschaft mit Nahrung aussieht. Denn tatsächlich landet ein Drittel der gekauften Waren im Müll. Das steht am Ende des Films der Verbraucherzentrale NRW auch auf dem Kassenzettel der Kundin.

Der Verbraucher ist allerdings nicht alleiniger Übeltäter, wenn es um das Thema Verschwendung geht: Von der Lebensmittelherstellung bis zum Privathaushalt werden jährlich in Deutschland 275 000 Sattelschlepper mit Lebensmitteln entsorgt. Die Schlange der Lkw würde von Düsseldorf bis Lissabon und zurück reichen, wie die Verbraucherzentrale vorrechnet.

Bereits auf dem Acker wird Gemüse vernichtet, das in Form, Farbe und Größe nicht den hohen Ansprüchen der Kunden genügt. Der Handel entsorgt Produkte oft bereits vor Ablaufen des Mindesthaltbarkeitsdatums und der Verbraucher kauft mehr, als er tatsächlich braucht.

Das Problem ist allerdings nicht nur ein deutsches. Um wenigstens den Handel anzuhalten, alle Lebensmittel zu verwerten, hat das französische Parlament vor etwa zwei Wochen ein Gesetz erlassen, das dem Großhandel verbietet, unverkaufte Nahrungsmittel wegzuwerfen. Sie müssen in Zukunft entweder gespendet oder als Tiernahrung oder Kompost weiterverwertet werden. Auch Italien plant inzwischen ein ähnliches Gesetz.

Für das Bundeslandwirtschaftsministerium ist Frankreich allerdings kein Vorbild. Bei der Vermeidung von Lebensmittelabfällen setze die Bundesregierung weniger auf Gebote oder Verbote eines bestimmten Produktions- oder Konsumverhaltens. Im Vordergrund stünden unter anderem Aufklärungsaktionen, Beratung sowie die Sensibilisierung der Verbraucher, heißt es.

Eine andere Meinung vertritt das Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen: "Frankreich geht mit seinem Gesetz, Lebensmittelverschwendung einzudämmen, einen mutigen Schritt. Wir sollten auch bei uns prüfen, ob solche Regelungen in Deutschland sinnvoll sind", heißt es in einer Stellungnahme. Lebensmittel seien wertvolle Ressourcen, die nicht weggeworfen, sondern sinnvoll verwertet werden sollten. "Wenn es Vorgaben zur Verwertung gibt, dann ist das grundsätzlich zu begrüßen", heißt es.

Eine andere Idee, die zunehmende Verschwendung einzudämmen, äußerte Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) vor Kurzem: Wieso das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) für einige Produkte wie Zucker, Salz oder Getreide nicht einfach abschaffen? Denn oft werden Artikel, die als nicht mehr haltbar gelten, der Tonne zum Fraß vorgeworfen.

Das sei aber nicht notwendig, meint Armin Valet, Lebensmittelexperte der Verbraucherzentralen. Der Hersteller, der festlegt, wie lange sich sein Produkt bei richtiger Aufbewahrung mindestens hält, wolle mit eher kurzen Fristen auf Nummer sicher gehen. Viele Lebensmittel seien auch jenseits der Haltbarkeitsangaben noch genießbar, Joghurt zum Beispiel bis zu einer Woche danach.

[kein Linktext vorhanden]Der Handel ist auch nicht verpflichtet, Lebensmittel nach Ablauf des MHD aus dem Regal zu nehmen: Wenn der Händler sicherstellen kann, dass Qualität und Bekömmlichkeit in Ordnung sind, darf das Produkt weiter verkauft werden, so der Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL). Das geschieht nach Einschätzung der Experten jedoch selten. Denn die Haftung für mögliche gesundheitliche Schäden geht vom Produzenten auf den Händler über. Und der Händler geht ebenfalls lieber auf Nummer sicher.

Der Lebensmittelhandel vernichtet Ware, für die er nicht mehr geradestehen will. Vielfach versuchen Filialbetriebe jedoch, vorher noch Abnehmer zu finden. Rewe und Real-SB-Warenhaus GmbH sagen übereinstimmend, man biete bei nahendem Ende der Haltbarkeitsfrist Preisnachlass bis zu 50 Prozent oder mehr. Einige Tage vor dem Ablauf spende man das, was übrig bleibe, an karitative Einrichtungen, in erster Linie an die "Tafel".

In den Bergfeld´s Biomärkten in Bonn nehmen die Mitarbeiter Lebensmittel mit nach Hause, deren MHD abgelaufen ist. Inhaber Axel Bergfeld achtet sehr genau darauf, möglichst wenige Lebensmittel wegzuwerfen. "Das erreichen wir dadurch, dass wir auf jede Lagerhaltung verzichten und mit sämtlichen frischen Lebensmitteln täglich beliefert werden." Einen Tag vor Ablauf des MHD reduziere er Artikel um 25 Prozent.

"Entgegen dem allgemeinen Frischewahn im Brotbereich verkaufen wir Brote mit Sauerteiganteil zwei Tage", erklärt Bergfeld. "Dies ist möglich, weil unsere Brote mit einem Dreistufensauerteig viel Zeit zum Reifen haben und deshalb deutlich länger haltbar sind als konventionelle Brote." In der grünen Tonne landeten Obst und Gemüse mit Mängeln beziehungsweise ungenügender Qualität. "Im Müll landen bei uns in der Regel keine Lebensmittel."

Damit das auch der Kunde von sich sagen kann, rät die Verbraucherzentrale, sich bei abgelaufenen Lebensmitteln nach Aussehen, Geruch und Geschmack ein eigenes Urteil zu bilden. Dazu rät auch der Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde. Das MHD sei kein Verfalls- oder Ablaufdatum, sondern die Garantie des Herstellers für spezifische Produkteigenschaften bis zum angegebenen Zeitpunkt.

Anders verhält es sich, wenn ein Verbrauchsdatum genannt werden muss, etwa für abgepacktes Hackfleisch, das besonders leicht verdirbt. Da ist die eindeutige Empfehlung, die Finger davon zu lassen, wenn das Datum überschritten ist. Lebensmittel mit Verbrauchsdatum dürfen später auch nicht mehr verkauft werden.

Das Kostenrisiko für "Ablaufverluste" trägt offensichtlich der Handel. Die Industrie nehme Lebensmittel mit abgelaufenem Haltbarkeitsdatum normalerweise nicht zurück, heißt es. Der Handel bemüht sich demnach, die Warenbestellung möglichst zuverlässig an den Verkaufschancen auszurichten, so dass wenig Überhang bleibt. Ein Sonderfall sind Saisonartikel der Süßwarenindustrie. Osterhasen und Weihnachtsmänner können, so erklären Rewe und Real, nach dem Fest unter bestimmten Bedingungen an die Hersteller zurückgegeben werden.

Zwar nicht zurückgeben, aber dafür teilen lassen sich zu viel gekaufte Produkte mittlerweile über soziale Netzwerke und Apps: "Foodsharing" (Essen teilen) lautet das Motto dort. Die entsprechende Facebook-Gruppe gibt es auch für Bonn - damit die imaginäre Tonne an der Supermarktkasse künftig leer bleibt.

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