Geschichte des Holocaust in Polen Barmherzige zwischen den Fronten

Warschau · Um das Museum der polnischen Judenretter in Markowa hat sich ein heftiger politischer Streit entwickelt. Den in Warschau regierenden Nationalkonservativen kommt die Museumseröffnung gelegen, polnische und israelische Historiker sehen das Konzept hingegen kritisch.

 Das Museum für die Polen, die während des Zweiten Weltkriegs Juden gerettet haben. FOTO: DPA

Das Museum für die Polen, die während des Zweiten Weltkriegs Juden gerettet haben. FOTO: DPA

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Um das im vergangenen März im südpolnischen Markowa eröffnete „Museum für die Polen, die während des Zweiten Weltkriegs Juden gerettet haben, benannt nach der Familie Ulma in Markowa“, ist ein heftiger Streit entbrannt. Den in Warschau regierenden Nationalkonservativen kommt die Museumseröffnung, die auf ihre Initiative zurückgeht, mehr als gelegen. Denn aus ihrer Sicht kann so anschaulich gezeigt werden, dass die Polen, anders als es heute im Ausland propagiert werde, in keinster Weise als einstige Verbündete Hitlers dargestellt werden können.

Aber diese vereinfachte Sicht auf die polnisch-jüdischen Beziehungen während des Holocausts wird von mehreren polnischen und auch israelischen Historikern kritisch gesehen. Zu den polnischen Kritikern gehört vor allem Jan Grabowski, dessen 2011 in Warschau erschienenes, zwei Jahre später ins Englische übersetzte Buch „Judenjagd“ (Hunt for the Jews) in Polen eine heftige Debatte darüber entfachte, wie unter der deutschen Besatzung Polen mit Juden umgingen. Grabowski dokumentierte nicht nur zahlreiche Fälle von Denunziationen, er räumte auch mit dem Mythos auf, den die heute regierende „Partei für Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) gerade auch mit dem neuen Museum in Markowa etablieren will: Viele Polen hätten aus Mitmenschlichkeit und unter Lebensgefahr Tausende von Juden versteckt. Grabowski indes wies nach, dass man Juden nicht immer nur aus Menschenliebe half, sondern sich dafür auch oft gut bezahlen ließ.

Dem polnischen „Institut für Nationales Gedenken“ (IPN) hält der Historiker vor, es versuche immer mehr Polen ausfindig zu machen, die Juden gerettet hätten, um die polnische Opferrolle zu zementieren. Diese Sichtweise könnte sich auch bei der Gestaltung des Ulma-Museums in Markowa durchsetzen, warnte er schon im Vorfeld und wies auf die Forschungen des IPN-Historikers Mateusz Szpytma hin, der in Markowa Museumsdirektor wurde. Szpytma hat die tragischen Ereignisse im Ort zu rekonstruieren versucht: Nachdem die meisten jüdischen Bewohner des Dorfes und seiner Umgebung von den deutschen Besatzern erschossen worden waren, suchten einige Überlebende auf dem Hof des polnischen Landwirts Józef Ulma in Markowa Zuflucht. Der Pole versteckte sie, was er und seine siebenköpfige Familie am Ende mit dem Leben bezahlten.

Grabowski kritisierte, Szpytma habe die Frage offengelassen, wer die Ulmas denunzierte. 1995 wurde die Familie Ulma von der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem als „Gerechte unter den Völkern“ geehrt – diesen Titel erhielten bislang 6620 Polen. 2014 bekam Jan Grabowski von der Jerusalemer Gedenkstätte einen Preis für seine Studie „Judenjagd“.

Die Eröffnung des Museums in Markowa ist für die Initiatoren nur ein erster Schritt zu einer umfassenden Dokumentation der Schicksale all jener Polen, die Juden geholfen hatten. Derzeit konzentriert sich die Schau in dem einer Scheune nachempfundenen Museumsbau noch auf die Ereignisse in der Region und zeigt hauptsächlich Fotos aus dem Besitz von Józef Ulma, der Hobbyfotograf war. An der Mauer auf dem Platz vor dem Museum erinnern Schrifttafeln an Polen, die ihr Leben lassen mussten, weil sie Juden geholfen hatten. Die Liste der Namen soll ergänzt werden, und im Museum sollen Zeitzeugen zu Wort kommen sowie Tagungen und Jugendtreffen stattfinden. Hier denkt man besonders auch an die israelischen Schüler, die auf Klassenfahrten nach Polen mittlerweile auch in Markowa Station machen.

In Israel begegnet man dem Museum mit Skepsis. Dass der polnische Präsident Duda in seiner emphatischen Eröffnungsrede von „Hunderttausenden Polen“ sprach, die Juden geholfen hätten, erhärtet in Jerusalem den Verdacht, man wolle den tragischen – und in der Holocaust-Forschung keineswegs als typisch geltenden – Fall der Familie Ulma benutzen, um das Verhalten der Polen während des Holocausts zu beschönigen. Irena Steinfeldt, Leiterin der Abteilung der „Gerechten unter den Völkern“ in Yad Vashem, räumt zwar ein, dass die Zahl der hilfsbereiten Polen im Vergleich zu anderen Ländern am höchsten sei. Halte man sich jedoch die drei Millionen polnisch-jüdischen Opfer vor Augen, erscheine sie eher niedrig.

Auch sage die Zahl, die manch einer in Polen heute aufzublähen versuche, nichts über den Charakter des Volkes aus, sondern nur über den von Individuen. „Verallgemeinerungen lehnen wir entschieden ab“, betont Steinfeldt. Die katholische polnische Wochenzeitschrift „Tygodnik Powszechny“ griff diese Kritik auf und fragte Museumsdirektor Mateusz Szpytma, ob das Hochschrauben der Zahl angeblicher polnischer Judenretter politische Zwecke verfolge. Manipulationen auf rechter wie auf linker Seite kämen vor, lautete die Antwort. Beide Lager versuchten in der Tat, die Geschichte politisch zu instrumentalisieren. Das dürfe man aber den Historikern nicht anlasten.

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