Der erste Weltkrieg im Rheinland Autor und Filmemacher Achim Konejung: "Sie starben für nichts"

BONN · Vor 100 Jahren, am 3. August 1914, begann mit der deutschen Kriegserklärung an Frankreich der Erste Weltkrieg. Wie sich dieser Krieg auch auf die Menschen in der Bonner Region und in der Eifel ausgewirkt hat, darüber hat der Autor Achim Konejung ein Buch geschrieben und einen Film zusammengestellt. Mit ihm sprach Hans-Peter Fuß.

Wie haben die Menschen in Bonn und Umgebung den Ersten Weltkrieg wahrgenommen? Die Kriegshandlungen an der Westfront fanden ja in Frankreich und Belgien statt.
Achim Konejung: Sie haben aus Zeitungen vom Kriegsverlauf erfahren, aber auch den Schlachtenlärm des "Handstreichs auf Lüttich" zu Beginn des Krieges gehört. Verwundete kamen zurück in Lazarette, die auch in Schulen untergebracht waren. Kriegsgefangene wurden in der Landwirtschaft und in der Industrie eingesetzt.

Wie wurden die Menschen in der Heimat informiert, wenn der Sohn oder der Bruder gefallen war?
Konejung: Der Briefträger brachte die Todesnachricht, meist vom Kompanieführer unterschrieben. Viele Soldaten wurden am Ort der Schlacht beerdigt. Es war üblich, dass bei wechselndem Frontverlauf die Sieger auch die Toten des Gegners begruben. Das war bei den späteren Materialschlachten aber nicht mehr möglich, so dass Hunderttausende Soldaten auf immer im Niemandsland verschwunden sind.

Was wissen Sie über das Schicksal des Bonner Malers August Macke, der auch im Ersten Weltkrieg sein Leben ließ?
Konejung: Macke wurde als Reserveoffiziersanwärter am 26. September 1914 östlich von Reims getötet. Er wurde auf dem Friedhof von Perthes-lès-Hurlus begraben. Die Gegend wurde durch Gas und Munition so zerstört, dass sie bis heute nicht betreten werden darf. Im Massengrab von Souain liegen 12.000 Soldaten, davon sind etwa 1000 namentlich bekannt. Leider wurden die Namenstafeln kürzlich von Metalldieben gestohlen.

Waren die Kriegsvorbereitungen spürbar?
Konejung: Bereits vor Beginn des Krieges, am 28. Juli 1914, bereitete sich das deutsche Heer auf den "Handstreich auf Lüttich" vor. Die Bahnhöfe und Züge im Rheinland waren voller Soldaten. An den strategischen Bahnhöfen, auch an den kleineren in der Eifel, wurden Rampen zum Ausladen der Wagen und Pferde gebaut. 1,2 Millionen Soldaten wurden vor Kriegsbeginn auf der Linie zwischen Trier und Aachen zusammengezogen. Sie wurden von insgesamt 14 000 Zügen von je 500 Metern Länge rund um die Uhr transportiert. Die hinteren Reihen wurden in Köln ausgeladen, die vorderen an der Vennbahn.

Sind auch die jungen Männer im Rheinland euphorisch in den Krieg gegangen im Glauben, Weihnachten wieder zu Hause zu sein?
Konejung: Für die jungen Männer war es eine willkommene Abwechslung, aus der heimatlichen Enge auszubrechen. Es war ein großes Abenteuer. Die Frauen waren eher skeptisch. Die Bauern waren nicht so euphorisch, denn es war Erntezeit, und da wurde jeder Mann gebraucht.

Wie ist diese Euphorie zu erklären? Hatten die Soldaten keine Angst vor dem Tod?
Konejung: Den letzten Krieg gegen Frankreich 1870/71 kannten die jungen Männer aus Erzählungen ihrer Väter und Großväter. Daraus speiste sich die Hoffnung, als dekorierter Kriegsheld heimzukehren. Die Begeisterung, zu der auch Gedichte von Gerhart Hauptmann und Ludwig Ganghofer beitrugen, hielt bis zur Schlacht bei Verdun 1916 an, danach kippte die Stimmung.

Warum fand der Krieg kein schnelles Ende?
Konejung: Anfangs wurde noch mit der Ausrüstung des 19. Jahrhunderts gekämpft. Durch die Verstärkung der Feuerkraft begab man sich nur selten aufs offene Feld. Die Schützengräben waren relativ sicher. So entwickelte sich der Stellungskrieg. An der Westfront standen sich 2,7 Millionen Franzosen und 2,3 Millionen Deutsche gegenüber. Beim Durchbruchsversuch bei Verdun 1916 war das Schlachtfeld 15 Kilometer breit und sieben Kilometer tief. Der Landgewinn der Deutschen ging gleich wieder verloren. Hunderttausende Soldaten waren für nichts gestorben.

Teilen Sie die Ansicht des Historikers Christopher Clark, das Deutsche Reich sei nicht alleine schuld am Krieg gewesen?
Konejung: Nein. Die Hauptschuld am Krieg tragen das Deutsche Reich und Österreich-Ungarn. Die Deutschen haben Frankreich und Russland den Krieg erklärt und sind in die neutralen Staaten Belgien und Luxemburg einmarschiert. Das Reich hat nichts getan, um den Krieg zu verhindern.

Was können wir heute aus der damaligen Entwicklung lernen?
Konejung: Die Politik darf das Heft des Handelns nicht dem Militär überlassen.

Sie sind auch als Kabarettist und Musiker bekannt. Woher kommt Ihr Interesse für historische Themen?
Konejung: Mein Großvater Karl ist auch 1915 im patriotischen Rausch in den Krieg gezogen, in dem er drei Mal verwundet und traumatisiert wurde. Damit habe ich mich seit meiner Kindheit befasst. Ich bin in Antwerpen zur Schule gegangen. Der Erste Weltkrieg ist in Belgien ein Riesen-Thema. Über die Erforschung der Familiengeschichte bin ich dann zur Historie des Rheinlands gekommen. Diese Themen sollte man nicht den ewig Gestrigen überlassen.

Zur Person

Achim Konejung, geboren 1957 in Krefeld, ist Autor, Musiker und Kabarettist. 1991 erhielt er den Deutschen Kleinkunstpreis. Seit 2004 setzt er sich als Vorstandsvorsitzender einer gemeinnützigen Stiftung mit der Geschichte des Rheinlands auseinander. Zu seinen Projekten gehört der Film "You enter Germany" über den Einmarsch der US-Army ins Rheinland 1945. Konejungs aktuelles Buch "Das Rheinland und der Erste Weltkrieg" ist im Rheinbacher Regionalia-Verlag erschienen. Er lebt in Müddersheim bei Zülpich.

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