Athener Finanzdesaster Außer Kontrolle

BRÜSSEL · Der griechische Finanzminister hatte gerade erst unterschrieben, dass er künftig wieder mit der Eurogruppe zusammenarbeiten werde, da holte er schon zum nächsten verbalen Rundumschlag aus.

Mit den "Machtspielen" der einstigen Troika sei nun Schluss, sagte Gianis Varoufakis nach der Sitzung der Euro-Finanzminister. Experten von EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) würden "nie wieder in griechische Ministerien marschieren" und dort versuchen, ein Programm zu installieren, das "in den Augen der Regierung gescheitert ist". Sein Fazit am gestrigen Dienstag: "Wir werden die Troika nicht wieder in Griechenland haben".

Die anderen Kolleginnen und Kollegen des Finanzminister-Rates konnten gar nicht glauben, was sie da vernahmen, hatte der Athener Kassenwart doch gerade erst das Gegenteil unterzeichnet. "Das steht in der Erklärung, die er selbst unterschrieben hat. Die sollte er mal lesen", kommentierte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sarkastisch. Fakt ist: An diesem Mittwochmorgen wird der Expertenkreis, der nicht mehr "Troika" heißen darf, Athens Bücher unter die Lupe nehmen und dort vermutlich Zahlen entdecken, die das Desaster offenkundig machen.

Denn der Notstand in der Staatskasse hat längst gefährliche Ausmaße angenommen. So fielen die Steuereinnahmen im Januar um 936 Millionen Euro niedriger aus als geplant. Inzwischen hat die Regierung praktisch alle offenen Rechnungen zur Seite gelegt. Es werden weder Mehrwertsteuer-Erstattungen geleistet noch Lieferanten bezahlt. Um wenigstens die Gehälter der öffentlich Bediensteten zu bezahlen, griff man in die Kassen staatlicher Organisationen wie der Rentenversicherung. Allein 450 Millionen Euro entnahm man dem Bankenrettungsfonds.

Faktisch ist jede Wirtschaftstätigkeit zum Erliegen gekommen. Das geplante Wachstum von 2,9 Prozent, das auch die Brüsseler Kommission für dieses Jahr vorausgesagt hatte, dürfte unerreichbar sein. Experten des IWF rechnen mit einem Plus von höchstens 1,5 Prozent. Das klingt zwar gut, aber die Korrektur kostet Geld: Das Loch in der Staatskasse wird Ende des Jahres um eine weitere Milliarde größer ausfallen. Und auch der auf 1,5 Prozent geschätzte Primärüberschuss dürfte noch höchstens 0,5 Prozent betragen.

Den Banken geht trotz des Spielraums, den die Europäische Zentralbank auf 68 Milliarden Euro erhöht hat, das Geld aus. Zwischen Dezember 2014 und Februar 2015 sanken die Einlagen bei den Instituten von 128 Milliarden auf 28 Milliarden Euro. Ob die ursprünglich geplanten zehn Milliarden Euro, die die Häuser an Darlehen für Unternehmen ausgeben wollten, noch drin sind, darf bezweifelt werden. Obwohl sich die Euro-Familie redlich bemüht, wachsen die Befürchtungen, dass die laufenden Versuche zur Rettung oder wenigstens Stabilisierung des Landes entgleisen. Am Ende (also Mitte des Jahres) könnte ein drittes Hilfspaket unumgänglich werden. Es wäre genau das, was Regierungschef Alexis Tsipras vermeiden wollte.

Dass Athens Finanzminister Varoufakis deshalb sowohl bei den Euro- wie auch bei den EU-Finanzminister-Kollegen ohne vollständigen Reformfahrplan auftauchte, um einen Schritt zur raschen Auszahlung der noch offenen Hilfszahlungen zu tun, konnte gestern in Brüssel niemand wirklich verstehen.

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