Analyse des Syrien-Konflikts Aus dem Krieg wird womöglich ein Guerillakampf

Aleppo · Verhandlungslösungen im Syrien-Konflikt sind unwahrscheinlich. Die Rebellen werden sich noch mehr radikalisieren und uns bald auch in Europa beschäftigen.

Noch ist das endgültige Schicksal Ost-Aleppos nicht ausgefochten. Der schlimmste Ausgang: Die Kämpfe gehen weiter und die Menschen stehen vor der Option, bis zum bitteren Ende zu kämpfen, sich zu verstecken oder zu kapitulieren – wohlwissend, dass auch das keine Garantie für ihre Unversehrtheit ist.

Der zweitschlimmste: Die Menschen werden doch noch evakuiert und kommen mit dem nackten Leben davon. Die Rebellen, ihre Familien und alle, die mit ihnen gehen wollen, würden dann die Stadt verlassen. Die Evakuierung wäre auch eine Säuberung, wenngleich keine klassisch ethnische, sondern eine von allen, die sich dem Regime und seiner iranisch-russischen Unterstützung entgegengestellt haben.

Einst war es ein recht bunter Haufen an Menschen, die ursprünglich friedlich gegen das Regime demonstriert hatten, die aber dann in einen Krieg hineingezogen wurden und die sich militarisiert haben. Ihre größte Unterstützung kam von Staaten, die eine radikale islamistische Alternative zu Baschar al-Assad schaffen wollten. Vom Rest der Welt wurden sie im Stich gelassen, im Laufe der Zeit haben sie sich dann radikalisiert. Es sind Menschen, die in alle Fallen getappt sind, die ihnen das Regime gelegt hat.

Assads Rechnung geht auf

Assad wollte sich von Anfang an einen Gegner maßschneidern, der nicht friedlich demonstriert, sondern der bewaffnet ist und der eine Radikalität vertritt, die ihn international zu einem schwer akzeptablen Partner macht. Die Rechnung ist aufgegangen. Aleppo ist ein Sieg des Regimes und ein Scheidepunkt im Syrien-Konflikt. Doch wohin geht es von jetzt an?

Die einfachste Aussage: Der Krieg ist nicht beendet, denn die Rebellen kontrollieren immer noch andere Landesteile. Die grundsätzlichen Probleme, die zu dem Krieg geführt haben, sind durch einen militärischen Sieg nicht ausgeräumt. Klar ist auch, je mehr Territorium sie verlieren, umso mehr werden sie sich auf eine Mischung aus Guerillataktik und Anschlägen in Syrien verlegen.

Politisch wird es wahrscheinlich zunächst dazu führen, dass der Verhandlungsprozess und die Suche nach einer politischen Lösung auf Eis gelegt werden. Warum sollte ein Regime verhandeln, das sich militärisch auf der Siegerstraße befindet, und warum sollten Rebellen sich aus einer Position der absoluten Schwäche auf politische Verhandlungen einlassen?

In einem weiteren politischen Sinne ist der Regimesieg in Aleppo auch ein Triumph der iranisch-russischen Nahostpolitik. Wer kann sich nun noch Teherans und Russlands Vorstellungen eines neuen Sicherheitsdesigns der Arabischen Welt entgegenstellen? Die US-Wildcard Donald Trump steckt voller Widersprüche.

Der neue US-Präsident gibt sich Russland- und Putin-freundlich und schlägt gleichzeitig scharfe Töne gegen den Iran an. Dieser Widerspruch ist wahrscheinlich eine der ersten großen außenpolitischen Herausforderungen, bei dem Trumps bisherige Rhetorik schnell einem Realitätscheck unterzogen werden wird. Das iranisch-russische Erfolgsduo wird sich nach dem Erfolg in Aleppo nicht so schnell auseinanderdividieren lassen.

Weitere Radikalisierung der Rebellen

Bleibt die Zukunft der in Aleppo geschlagenen Rebellen. Sie werden sich weiter radikalisieren. Ihren Glauben an internationale Unterstützung haben sie nun endgültig verloren. Sie werden jetzt in Gebiete evakuiert, in denen radikalere, Al-Kaida nahestehende Gruppen den Ton angeben.

Wichtiger ist aber vielleicht ein anderer Effekt, den diese brutalen letzten Wochen in Aleppo auf sie haben werden. Wir sehen nur die Toten und die zerstörten Gebäude in Aleppo. Wir sehen nicht in die Köpfe der Menschen. Welche Konsequenzen ziehen jene, die das erlebt haben, alleingelassen von einer westlichen Welt, die gern die Moral für sich gepachtet hat und Werte von Menschenrechten, Demokratie und Freiheit hochhält, die aber in Aleppo weggesehen hat?

Diese Menschen haben erlebt, wie ihre Familien nach dem Abwurf von Fassbomben oder dem Beschuss einer russischen Rakete unter den Trümmern ihrer Häuser verschwanden, wie ihre Krankenhäuser bombardiert wurden, die ausgehungert wurden. Es werden diese Köpfe sein, die Aleppo womöglich zu uns nach Hause bringen werden. Aus den Kindern, die in diesen Tagen schreiend und mit kindlicher Verzweiflung vor den Leichen von Eltern und Geschwistern knien, könnte die nächste Generation von Attentätern erwachsen, die in den europäischen Metropolen zuschlägt.

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