Eröffnung der US-Botschaft So gefährlich ist die Lage in Jerusalem

Jerusalem · Die Stimmung schwankt nach militärischen Aktionen gegen den Iran und Zusammenstößen zwischen Armee und Palästinensern vor symbolträchtigen Tagen zwischen An- und Entspannung. Wie sich die Eröffnung der US-Botschaft in Jerusalem auswirkt.

 In Israel kommt es zu Konflikten zwischen Juden und Muslimen.

In Israel kommt es zu Konflikten zwischen Juden und Muslimen.

Foto: afp

Am Tag nach dem Vergeltungsschlag wirkt die heilige Stadt entspannt. Der Himmel strahlt in freundlichem Blau, die Händler in den Gassen des arabischen Altstadtviertels hocken lässig vor ihren Läden, orthodoxe Juden in Schwarz eilen der Ruhe des Schabbat-Abends entgegen, und die Touristen steigen die Via Dolorosa hinauf, als wäre nichts gewesen. Selbst die zwei Dutzend Soldaten an der Klagemauer, die Maschinenpistolen umgehängt, machen keinen alarmierten Eindruck; einige knipsen Selfies.

Dabei liegt der massivste Angriff, den Israel seit 40 Jahren auf syrischem Boden geführt hat, an diesem Freitagabend keine 48 Stunden zurück. In der Nacht zum Donnerstag hatten mutmaßlich die iranischen Revolutionsgarden 20 Raketen auf eine Militäreinrichtung im Norden des Landes abgefeuert. Die Israelis fingen sie ab und reagierten mit einem gewaltigen Luftschlag gegen rund 50 Stellungen der Iraner und verbündeter Milizen in Syrien.

Und jetzt schaut die Welt mit Sorge auf Jerusalem. An diesem Montag verlegen die Amerikaner ihre Botschaft von Tel Aviv an den biblischen Ort, den auch die Palästinenser beanspruchen. Am Dienstag folgt der Nakba-Tag (arabisch für „Katastrophe“), das Gedenken an etwa 700.000 Palästinenser, die bei der Staatsgründung Israels vor genau 70 Jahren vertrieben wurden oder flohen. Zwei heiße Tage hintereinander – und am Dienstagabend beginnt auch noch der muslimische Fastenmonat Ramadan.

Erster Zwischenfall am Mittag

Den Unternehmer Ronen Adill beunruhigt das nicht im Geringsten. Er ist mit seinen Söhnen Matanya und Frineau – einer Ingenieur, der andere Student – aus dem Norden als Urlauber gekommen. „Das wird ein ganz normaler Montag“, sagt der Vater auf dem weiten Platz an der Klagemauer. „Die Palästinenser werden nichts machen, weil sie wissen, dass die Militäroperation in Syrien medial sowieso alles überschattet.“ Der Luftschlag sei notwendig gewesen, ergänzt sein Sohn Matanya. „Israel kann nicht zulassen, dass die Iraner ihre Basen hinter unserer Grenze in Syrien aufbauen.“ Und der Umzug der US-Botschaft sei längst überfällig gewesen. So oder ähnlich reagieren auch andere Israelis, wenn man sie anspricht.

Schon am Sonntag bietet Jerusalem ein ganz anderes Bild. Zehntausende junge Israelis, darunter viele Siedler aus dem Westjordanland, ziehen fahnenschwenkend durch die Altstadt zur Klagemauer, um die Eroberung durch die jüdische Armee im Jahr 1967 zu feiern, den „Jerusalemtag“. Schon gegen Mittag der erste Zwischenfall auf dem Tempelberg: Juden und Araber geraten aneinander, nachdem ein Israeli an der für beide Religionen heiligen Stätte eine Nationalflagge geschwenkt hat.

Am Sonntag trifft auch die US-Delegation mit Präsidententochter Ivanka Trump und ihrem Ehemann Jared Kushner in Israel ein. Den Montag hat die Palästinensische Autonomiebehörde im größtenteils besetzen Westjordanland zum „Tag des Zorns“ erklärt. An solchen Tagen gab es in der Vergangenheit immer wieder Zusammenstöße zwischen Palästinensern und israelischer Armee an den Checkpoints der Westbank.

Gewalt eskaliert seit Wochen

In Gaza eskaliert die Gewalt ohnehin schon seit sechs Wochen. Dort protestieren jeden Freitag Tausende von Palästinensern, angestachelt von der Hamas, die den abgeriegelten, schlecht versorgten Küstenstreifen seit elf Jahren beherrscht. Immer wieder versuchen einige aus der Menge heraus, den Grenzzaun zu durchbrechen oder israelische Soldaten zu attackieren. Die Armee antwortet mit Scharfschützenfeuer. Bisherige Bilanz: mehr als 40 Tote, mehr als 1000 Verletzte. Sowohl die Vereinten Nationen als auch die Europäische Union kritisieren das harte Vorgehen. Die Armee dagegen wirft der Hamas vor, Frauen und Kinder zu missbrauchen. Die Terrorgruppe treibe sie an den Grenzzaun.

Am Nakba-Tag, so die Befürchtungen in Israel, könnte es einen Massenansturm auf die Sperranlagen geben. Dann droht ein Blutbad. Die Hamas gelte als feindliche Macht, erklärt eine ranghohe Reserveoffizierin gegenüber dem GA die Sicht der Armeespitze und der Regierung. Israel habe darum jedes Recht, tödliche Waffengewalt einzusetzen.

"Marsch der Rückkehr"

Die Hamas stellt den Aufruhr unter den Slogan „Marsch der Rückkehr“. Das Rückkehrrecht der Araber und das Existenzrecht Israels – das sind seit 70 Jahren die Kernpunkte im Konflikt um das Heilige Land. Im Westjordanland löste der „Marsch“ in den vergangenen Wochen allerdings nur kleinere Zusammenstöße aus. Das mag daran liegen, dass die regierende Fatah von Mahmud Abbas mit der Hamas verfeindet ist. Ihre Polizei kooperiert zudem mit den israelischen Sicherheitskräften.

Experten wie Udi Dekel teilen die Einschätzung der Familie Adill, was den Botschaftsumzug angeht. „Ich erwarte keine dramatischen Ereignisse“, sagt der Brigadegeneral a.D., der zuletzt Planungschef des Armee-Generalstabs war und heute Geschäftsführer der Denkfabrik Institute for National Security Studies (INSS) in Tel Aviv ist. Nur wenn es auf dem Tempelberg, der den Muslimen heilig ist, Zwischenfälle geben sollte, könne es gefährlich werden, so Dekel. „Die Sicherheitskräfte müssen das eine vom anderen separieren.“

Zwei Tage lang Demonstrationen, dann Ruhe

Kurze Proteste, „unglücklicherweise vielleicht mit einigen Toten“, prognostiziert Mohammad Darawshe, Direktor des Bildungszentrums Givat Haviva, das Begegnungen zwischen jungen israelischen Palästinensern und Juden organisiert. Die Palästinenser seien damit beschäftigt, die Probleme eines Alltags unter Besatzung zu bewältigen. Ihnen sei zudem klar, dass die israelischen Sicherheitskräfte jeden Aufstand eindämmen können. „Ihnen ist klar, dass ihr Schicksal nicht wirklich in ihren eigenen Händen ist.“

Zwei Tage lang Demonstrationen, dann Ruhe – das ist auch die Prognose von Oded Eran. Der frühere Botschafter bei der EU leitete vor 20 Jahren das israelische Verhandlungsteam bei den Friedensgesprächen mit den Palästinensern in Camp David. Donald Trumps umstrittener Vorstoß im Dezember, sagt Eran, sei von der Welt nur zur Hälfte wahrgenommen worden. Zwar erkannte der US-Präsident Jerusalem in einem historischen Alleingang als israelische Hauptstadt an. „Er hat aber im zweiten Teil den Status Ost-Jerusalems ausgeklammert. Das war ein smarter Schachzug“, kommentiert der erfahrene Diplomat. Denn die Palästinenser betrachten den Ostteil der Stadt als künftige Hauptstadt ihres angestrebten unabhängigen Staates.

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