Ein Ortsbesuch in Johnstown So fällt Donald Trumps bisherige Bilanz aus

Johnstown · Johnstown ist eine vergessene Stadt. Im ehemaligen Kohle- und Stahlrevier im US-Bundesstaat Pennsylvania haben viele auf den neuen Präsidenten gesetzt. Viele tun es noch. Ein Ortsbesuch.

Wer an der Endstation der höllisch steilen Standseilbahn von Johnstown von oben auf den Conemaugh River schaut, versteht, warum Donald Trump im vergangenen Herbst auch hier den Menschen erzählt hat, dass er Amerika „wieder groß machen wird“, wenn sie ihn wählen. Rechts des Flusses im ehemaligen Kohle- und Stahlrevier in Pennsylvania reihen sich riesige Fabrikhallen aneinander. Steinerne Zeugen der goldenen 1970er Jahre, als „Bethlehem Steel“ hier bis zu 15 000 Leute ernährte.

Dann kam die Krise. Massenentlassungen. Stadtflucht. Drogenelend. Perspektivlosigkeit. Die von dem deutschen Einwanderer Joseph Schantz vor über 200 Jahren gegründete Stadt fiel tief durch den Rost. Statt einst 70 000 heute nur noch 18 000 Einwohner. Sinkende Steuereinnahmen führen zu maroder Infrastruktur. 1400 Häuser stehen leer. Zum Abreißen fehlt das Geld. Johnstown, eine der vergessenen Städte.

Hat Donald Trump, der wie in ähnlichen Industrieregionen zwischen Michigan, Ohio und West Virginia auch hier am 8. November vor einem Jahr die entscheidenden Stimmen geholt hat, die ihn ins Weiße Haus führten, Wort gehalten? Ein Ortsbesuch mit ambivalentem Ausgang. Wer durch das industrielle Niemandsland am Fluss fährt, braucht lange, bis in den alten Gemäuern hinter den milchigen Scheiben Licht zu sehen ist. Dort sitzt Jackie Kulback.

Neuer Optimismus

Die robust-herzliche Managerin des Spezial-Stahl-Herstellers Gautier, der hier 100 Leuten Arbeit gibt, hielt den New Yorker Unternehmer früher „ehrlich gesagt für ein bombastisches Arschloch“. Heute gehört sie zu Trumps unverwüstlicher Basis von 35 bis 40 Prozent der Wähler, die dem Präsidenten alles verzeihen. „Früher kämpfte die Regierung gegen uns“, sagt die Unternehmerin, die als Hobby den örtlichen Republikanern den Vorsitz führt, „in Trump haben wir einen Alliierten.“

Dass der 71-Jährige „zu oft ungefiltert redet und twittert – „geschenkt, es gibt Wichtigeres.“ Kulback hat in Johnstown „neuen Optimismus“ ausgemacht. Convergys, ein Dienstleister, habe gerade ein Callcenter mit 250 Jobs eröffnet. Ein Metallbetrieb sucht noch immer 70 Schweißer. „Noch kein Wirtschaftswunder, ich weiß, aber die Richtung stimmt.“ Im eigenen Haus hat sie 30 Leute zusätzlich eingestellt. „Das geht ganz auf Trumps Konto.“

Sieht Mike Brendle auch so. Der 65-Jährige betreibt vor den Toren Johnstowns den Buffer-Creek-Schießplatz. 60 Dollar für zwei Stunden Tontaubenschießen, inklusive Golfwägelchen zum Herumkutschieren durch die sanften Hügel des Laurel Mountain. Seit vor Kurzem nebenan in Acosta eine lange stillgelegte Kohlegrube wieder geöffnet hat, läuft das Geschäft prächtig. „150 Bergmänner verdienen in etwa das Dreifache von dem, was man bei McDonalds kriegt.“ Für Brendle hat Trump bisher alles „absolut richtig gemacht“ und „den Vorschuss voll verdient“, den ihm die Wähler gewährt haben. 76 Prozent, eines der besten Ergebnisse landesweit. „Er hat einen schlafenden Riesen geweckt – die kleinen Leute.“

"Wir haben einen Idioten gewählt."

Wenn der New Yorker Milliardär noch ein „wenig Geduld lernt“, kämen die Erfolge wie von selbst. Alles andere, etwa die angebliche Skandalgeschichte um Russland, seien doch nur „lästige Nebengeräusche“. Brendles Fazit: „Ich bin kein bisschen beunruhigt, solange Trump nur weiter politisch unkorrekt bleibt.“

Jeff Rininger, sehniger Typ, weiße Schirmmütze, Drei-Tage-Bart, kriegt bei solchen Sätzen rote Flecken am Hals. Der 64-Jährige arbeitet beim schwedischen Konzern Höganäs. 33 Dollar Stundenlohn, gute Sozialleistungen. Seit fast 30 Jahren ist der Urenkel deutscher Einwanderer namens Reininger in Johnstown Chef der örtlichen Stahlarbeitergewerkschaft. 1999 hatte Rininger 1200 Mitglieder in der Kartei. Heute sind es noch 330. Riningers Firma produziert Autobleche.

2008, auf dem Höhepunkt der Finanzkrise, mussten drei Viertel der Belegschaft gehen. Nur weil Präsident Obama damals Ford und General Motors pamperte, sei man aus dem Schlamassel rausgekommen. Und Trump? „Haut uns“ aus dem Transpazifischen Handelsabkommen (TPP) raus. Will Nafta, den Wirtschaftsverbund mit Kanada und Mexiko, „stornieren“, was vor allem die Autohersteller treffen würde. Rininger: „Ich muss wirklich sagen, wir haben einen Idioten gewählt.“

Arbeitsbedingungen verschlechterten sich

Die Mehrheit seiner Mitglieder sieht das anders. „Dabei wird man schon bald merken, wie sich unter Trump die Bedingungen in der Arbeitswelt verschlechtern.“ Rininger ist dann weg. Rente 2018. Er hört sich verbittert an. „Frustriert trifft es besser. Ich spreche nicht mehr mit Leuten, die Donald Trump gewählt haben. Selbst wenn es Freunde sind. Der Mann ruiniert unser Land.“

Chip Minemyer, Chefredakteur der „Tribune-Democrat“, die noch auf eine Auflage von 30 000 Exemplaren kommt, kann sich solche Kommunikationsverweigerung nicht leisten. Auf die Frage, wie viel Trump man in Johnstown spüren könne, antwortet er lakonisch: „Nichts hat sich hier seit dem Wahltag verändert.“ Als Journalist vermisst Minemyer „Anständigkeit und Zivilität“. Kommentiert er gegen Trumps Twitterei, gibt’s Saures aus der Leserschaft. Arch Liston weiß, warum.

Keine Hilfe aus Washington

„Den Leuten geht die Geduld aus. Sie haben mehr erwartet.“ Als City-Manager ist der knorrige Mann so etwas wie Bürgermeister und Verwaltungschef in einer Person. Dass Trump vor der Wahl versprach, in einer Art nationalem Fitnessprogramm Flughäfen Straßen, Brücken und Abwasserkanäle zu modernisieren, hat ihm imponiert. „Es war ein Gefühl von Aufbruch da. Leider ist nichts geschehen.“ Warum? Trump habe keine „Lernkurve“. Als „Seiteneinsteiger“ müsse er Regierungsarbeit „von der Pike auf lernen“, sich für die Details interessieren, Lager zusammenführen, haltbare Kompromisse inszenieren. „Sonst gibt es keine Gesetze.“

Und in Johnstown kein Geld. Um die Abwasserrohre zu erneuern, musste die Stadt gerade 110 Millionen Dollar Kredit aufnehmen. Weil die Hilfe aus Washington ausblieb. Liston muss die lokalen Steuern erhöhen. Mit der Folge, dass noch mehr Leute wegziehen. „Wir besteuern die Leute aus ihren Häusern“, sagt Liston.

Jackie Kulback aber erinnert sich mit „Gänsehaut“ daran, wie sie vor über einem Jahr Donald Trump vor 8000 Zuhörern in der der örtlichen Eishockeyhalle vorstellen durfte. „Der Mann hat die Leute elektrisiert, wie ich es noch nie erlebt habe.“ Diese Wirkung sei noch nicht verpufft. Und wenn doch einmal? „Er kann ein echter Rüpel sein“, sagt Jackie Kulback, „aber er ist wenigstens unser Rüpel.“

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