Fragen und Antworten In Brüssel herrscht Ratlosigkeit beim Thema Brexit

Nach der Ablehnung des Brexit-Kompromisses durch das britische Parlament rätseln die EU-Staats- und Regierungschefs, wie sie mit der Situation umgehen sollen. Das Problem: Die Briten wissen selbst nicht, was sie wollen.

 Wohin steuert Großbritannien? Protest vor dem Parlamentsgebäude.

Wohin steuert Großbritannien? Protest vor dem Parlamentsgebäude.

Foto: AFP

Das britische Parlament hat dem Brexit-Deal eine deutliche Absage erteilt. Premierministerin May muss sich nach der schweren Klatsche einem Misstrauensvotum stellen. Droht jetzt das Chaos? Die wichtigsten Fragen und Antworten rund um das Thema.

Sieht die EU noch eine Chance, einen ungeordneten Brexit am 29. März abzuwenden?

Die Zeit wird knapp. Das hatte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker schon unmittelbar nach dem Nein des britischen Unterhauses gegen den ausgehandelten Deal festgestellt. Am Mittwoch betonte EU-Chefunterhändler Michel Barnier dennoch, ein geordneter Austritt der Briten bleibe „in den nächsten Wochen unsere oberste Priorität“. Die Abgeordneten des EU-Parlamentes in Straßburg äußerten sich gestern über die Fraktionsgrenzen hinweg tief enttäuscht über das Ergebnis des Votums in London. Aber der Ball für eine Lösung liege eben jetzt bei den Briten, wie es der Chef der christdemokratischen Mehrheitsfraktion, Manfred Weber (CSU), ausdrückte. „Eines muss allen klar sein: Ein Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union – so wie es die Briten eben beschlossen haben – führt zu Schaden für beide Seiten“, so Weber in der ARD. „Es gibt keine Lösung, die nicht Schaden verursacht.“

Muss die Europäische Union sich jetzt nicht bewegen, auf die Briten zugehen?

Die Bereitschaft dazu wäre wohl – entgegen aller Beteuerungen – da. Aber die EU ist ratlos, weil sie nicht weiß, an welchen Punkten man auf London zugehen sollte, um eine Mehrheit im Parlament zu erreichen. Das bestehende Austrittsabkommen will ohnehin niemand wieder aufschnüren. Denkbar wäre aber, Details bei der politischen Erklärung zur künftigen Zusammenarbeit nachzuschärfen, sagte der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz.

Bei der geplanten Notlösung für Nordirland (Backstop) könnte man vielleicht noch verbindlicher herausstreichen, dass sie nicht dauerhaft gelten soll. Dieses Instrument sieht den Verbleib des Vereinigten Königreiches in einer Zollunion mit der EU vor, sollte es bis Ende 2022 nicht zu einem neuen Abkommen über die beiderseitigen Beziehungen kommen. Für das Vereinigte Königreich gilt diese Regelung als rotes Tuch, weil London unter Umständen zu einer fortdauernden Mitgliedschaft in der EU gezwungen sein könnte.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zeigte sich zu Nachverhandlungen aber skeptisch. „Wir werden vielleicht sehen, ob wir ein oder zwei Punkte verbessern können“, sagte er. „Ich glaube aber nicht wirklich daran, denn wir sind mit dem Abkommen bereits an die Grenzen gegangen.“ Die EU könne nicht die Interessen der Europäer vernachlässigen, „um ein innenpolitisches Problem der Briten zu lösen“.

Könnte man den Brexit verschieben, um mehr Zeit zu gewinnen?

Die europäischen Verträge lassen diese Möglichkeit zu. Premierministerin Theresa May müsste den Wunsch nach Verschiebung des Austrittsdatums bei der EU schriftlich beantragen, die Staats- und Regierungschefs könnten diese Bitte billigen. Dabei ist Einstimmigkeit nötig. Allerdings schreiben die Regeln vor, dass eine solche Verlängerung gut begründet werden müsste – zum Beispiel mit einer angesetzten Neuwahl oder einem zweiten Referendum. Und beides scheint nicht wahrscheinlich.

Österreichs Bundeskanzler Kurz würde unter bestimmten Bedingungen eine Verschiebung des Austrittstermins befürworten. „Wenn es notwendig ist, Zeit zu gewinnen, sollten wir die Möglichkeit in Betracht ziehen.“ An den Finanzmärkten wird eine Verschiebung offenbar erwartet. Die Marktreaktion seit der Parlamentsentscheidung gegen den Brexit-Vertrag deute darauf hin, dass Anleger glaubten, die „Wahrscheinlichkeit eines No-Deal könne sich verringert haben“, der Gouverneur der britischen Zentralbank, Mark Carney.

Wie viel Zeit könnte die EU den Briten denn geben?

Im Gespräch war schon einmal der Juli. Doch das ist illusorisch. Mehr als drei Monate sind nicht drin. Denn die EU-Bürger wählen Ende Mai ein neues Parlament, das Anfang Juli zusammentritt. Sollte Großbritannien bis dahin den Austritt nicht vollzogen haben, müssten die Briten Abgeordnete für eine Volkskammer wählen, der sie nicht mehr angehören wollen. Das ist politisch kaum vermittelbar.

Die EU könnte auf eine erneute Abstimmung im Unterhaus mit anderem Ausgang hoffen?

Ein solches zweites Votum steht ohnehin an. Bis Montag muss Premierministerin Theresa May einen Plan B vorlegen und ihn anschließend zur Abstimmung stellen. Aber derzeit weiß niemand, was dieser Vorschlag enthalten könnte, um sowohl den Anforderungen der EU als auch den Bedingungen der Abgeordneten zu genügen und auf breite Zustimmung zu stoßen.

Könnte die britische Regierung den Brexit-Antrag auch noch zurückziehen?

Tatsächlich gibt es diese Möglichkeit. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat das im Dezember klargemacht. Demnach könnte die britische Regierung noch bis zum 28. März 2019, dem Tag vor dem derzeit geplanten Austritt, den Brexit wieder zurückziehen – ihn aber später noch einmal neu beantragen. Das dürfte aber alles blanke Theorie sein. Denn die britische Premierministerin tut ja alles, um den Eindruck zu erwecken, dass ihre Regierung das Ergebnis des ersten Referendums akzeptiert.

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