Treffen in Brüssel Europäer wollen Atomabkommen mit Iran retten

Brüssel · In Brüssel versuchen Außenminister Heiko Maas und seine Kollegen aus Frankreich, Großbritannien und der EU in Verhandlungen mit Irans Chefdiplomat Mohammed Dschawad Sarif das Atomabkommen zu retten.

Heiko Maas muss durch schweres Wetter. Mehr als eine Stunde hat sich sein Abflug aus Berlin verzögert. Und vielleicht passen die dunklen Wolken über dem Flughafen Tegel auch zum Thema. Das schwere Wetter über Berlin könnte in diesem Fall irgendwie symbolisch für Schwerwasser stehen – für den Reaktor Arak in Iran, in dem die Regierung in Teheran künftig womöglich Plutonium für den Bau einer Atombombe herstellen könnte, sollte sie ihr Atomprogramm tatsächlich wieder hochfahren.

Es geht um viel. Vielleicht sogar um den Weltfrieden. Mindestens jedoch um Stabilität in einer höchst explosiven Region dieser Erdkugel. Dafür ist Mohammed Dschawad Sarif ins Flugzeug gestiegen. Für Sarif ist es eine halbe Weltreise in bedeutender Mission: Erhalt des Atom-Vertrags Ja oder Nein. Am Sonntag war der iranische Außenminister noch in Peking, am Montag landete seine Maschine in Moskau, am Dienstag ist er nun dort, wo Europa seine politischen Entscheidungen trifft, in Brüssel. Was der iranische Außenminister will? Jedenfalls mehr als nur geschliffene Statements und schöne Absichtserklärungen von den verbliebenen Vertragsunterzeichnern nach dem einseitigen Ausstieg der USA.

Maas ist am frühen Dienstagabend mit Verspätung dann endlich auch dort, wo die Europäer den Atomvertrag mit Iran möglichst noch retten wollen: Brüssel, Europagebäude, VIP-Eingang. Die Lage ist kompliziert, ja, verzwickt. Aber bitte, Europa will nichts unversucht lassen. Maas war in der Sache persönlich beim russischen Amtskollegen Sergej Lawrow in Moskau. Er hat dazu mit dem neuen US-Außenminister Mike Pompeo, mit Chinas Außenminister Wang Yi und mit Sarif selbst telefoniert. Seit einer Woche haben sie „alle ein bisschen Neuland“ betreten, jetzt, da die USA einseitig Sanktionen gegen Iran verhängt hätten, denen sich Europa aber nicht anschließen wolle. Maas sagt bei Ankunft in Brüssel, man wolle mit Sarif reden, „wie wir die Nuklearvereinbarung aufrecht erhalten können auch ohne die Vereinigten Staaten“.

Europäer müssen dicke Bretter bohren

Man wolle dem iranischen Chefdiplomaten deutlich machen, dass Europa zu dem Abkommen stehe – und hoffe dies natürlich auch bei Iran. Jetzt würden Ideen gesammelt, „wie man diesem Atomabkommen eine Zukunft geben kann“.

Maas weiß: Europa hat im Iran immer dann eine Chance, dass seine Stimme gehört wird, wenn es gemeinsam und geschlossen auftritt. Wie das gehen soll? Auch Frankreich und Großbritannien haben mit Jean-Yves Le Drian und Boris Johnson ihre Außenminister an diesem Tag nach Brüssel geschickt. Dazu noch die EU-Chefdiplomatin Federica Mogherini, die in einer ersten Reaktion nach dem durch US-Präsident Donald Trump einseitig erklärten Ausstieg aus dem Atomabkommen noch beteuert hatte: „So lange Iran zu dem Atomvertrag steht, steht auch Europa zur vollständigen Umsetzung des Abkommens.“ Ähnlich äußert sich jetzt auch Außenminister Maas wieder, bevor er in Brüssel zunächst mit Le Drian, Johnson und Mogherini zusammentrifft, ehe man sich dann am Abend mit Irans Chefdiplomat Sarif gemeinsam an einen Tisch setzt. Sarif sieht da schon Zeichen für Optimismus nach seinem ersten Gespräch mit Mogherini in Brüssel: „Wir sind auf einem richtigen Weg und bewegen uns in eine richtige Richtung.“

Dass Sarif gewissermaßen schweres Gepäck mit sich führt, haben die Europäer zunächst registriert. Nur wollen sie sich von dem 60-Tage-Ultimatum, das Teheran der EU wohl gesetzt hat, um das Atomabkommen zu garantieren, nicht zu sehr beeindrucken lassen. Diplomatie bedeutet sehr oft: dicke Bretter bohren. Denn tatsächlich soll in den direkten Gesprächen mit Sarif von einem Ultimatum mit keiner Silbe die Rede gewesen sein, heißt es auf deutscher Seite. Maas jedenfalls setzt darauf, dass auch Teheran – 60-Tage-Frist hin oder her -- ein Interesse an dem Abkommen haben müsse, weil Iran wirtschaftliche Perspektiven brauche. Sarif wiederum will namens der Regierung in Teheran erreichen, dass es bei der Aufhebung der Sanktionen etwa in den Sektoren Öl, Banken, Finanzen, Versicherungen oder Handel bleibe.

Gefahr einer Aufrüstungsspirale

Es ist wie so häufig in solchen Situationen ein Geben und Nehmen. Teheran will die Europäer dazu bringen, dass diese ausreichend wirtschaftliche Erleichterungen anbieten oder garantieren, wenn die USA ihre angekündigten Wirtschaftssanktionen gegen Iran wieder einführen. Nur dann ist nach iranischer Lesart ein Verbleib in dem Atomabkommen sinnvoll.

Also reden sie miteinander. Alles ist im Fluss, vieles offen. Reist Sarif ohne jedes Entgegenkommen der Europäer mit leeren Händen aus Brüssel ab, könnte die Regierung in Teheran damit spielen, das iranische Atom(waffen)programm wieder zu starten. Mit der großen Gefahr einer Aufrüstungsspirale im Nahen Osten, so die Befürchtung. Die Spannungen mit Israel könnten sich weiter verschärfen, der Syrien-Krieg, in dem Iran mitmischen lässt, noch grausamer werden und womöglich auf weitere Staaten der Region übergreifen. Dann könnte sehr viel mehr auf dem Spiel als nur die Frage, ob Unternehmen und Konzerne aus der EU an ihren eingegangenen Iran-Geschäften auch festhalten können.

Für Maas jedenfalls gilt, dass Europa – auch in Gesprächen mit den anderen Unterzeichnerstaaten Russland und China -- beim Versuch der Rettung des Atomabkommens zusammenstehen müsse, „sonst werden wir das nicht schaffen“. Maas warnt: „Es ist klar, dass die Sicherheitsinteressen Europas durch dieses Abkommen unmittelbar tangiert werden.“ Ohne den Atomvertrag sei die Entwicklung unsicher. Also muss alles auf den Tisch, was helfen kann, die Nuklearvereinbarung zu retten. Sie werden jetzt Ideen sammeln. Und wieder telefonieren. Pendeldiplomatie. Es geht um viel. Um ein eminent wichtiges Abkommen. Und um sehr viel Spaltmaterial.

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