Kommentar zum Attentat in Manchester Ende der Euphorie

Meinung · Sich seine Lebensgewohnheiten vom Rhythmus des Terrors diktieren zu lassen, ist keine Alternative. Dann wären wir alle bald sehr unfrei, kommentiert GA-Redakteur Holger Möhle.

 Polizisten und andere Einsatzkräfte kümmern sich in Manchester um eine verletzte Frau.

Polizisten und andere Einsatzkräfte kümmern sich in Manchester um eine verletzte Frau.

Foto: dpa

Kinder und Jugendliche gehen zu einem Popkonzert: Vorfreude, Euphorie, große Träume, die Lieder wieder und wieder gehört – zum Mitsingen. Das Idol endlich in Lebensgröße vor sich. Großes Thema in den Tagen davor, großes Thema am Tag danach in der Schule. Doch dann ist alles anders. Der Terror stoppt ihr junges Leben, bevor es richtig begonnen hat – für immer.

Der Anschlag von Manchester ist besonders perfide, weil er ein Anschlag auf die Jugend und damit auf die Zukunft einer Gesellschaft ist. Und genau das sollte es sein: Terror gegen Kinder und Teenager. Der Attentäter wusste: Wer zu einem Konzert des 23 Jahre alten Popstars Ariana Grande geht, ist jung oder sehr jung, eventuell sogar noch in Begleitung der Eltern.

Manchester reiht sich damit ein in die Liste jener europäischen Städte, die in jüngerer Vergangenheit vom (islamistischen) Terror getroffen worden sind: Paris, Nizza, Berlin. Nur dieses Mal – und das macht den Unterschied – wollte der Terror die Jüngsten treffen. Familien sind erschüttert, auseinander gerissen. Eltern fragen nach dem Sinn und finden keine Antwort. Doch auch das ist das Ziel: Die freien, offenen Gesellschaften des Westens sollen in ihren Grundfesten erschüttert werden. Es ist ein Anschlag auf unsere Lebensart und unser Lebensgefühl.

Der Kampf gegen den Terror geht weiter. Ob er jemals endet, ist ungewiss. Es gehört zum Wesen von Terror, dass er seine Opfer unvermittelt trifft, ja, aus dem Leben reißt. Genau damit will er Angst und Schrecken verbreiten und einschüchtern. Sollte ihm dies gelingen, hätten die Terroristen schon ihren Erfolg. Veränderung aus Angst. Deswegen müssen Popkonzerte, Volksfeste, Karnevalsumzüge, Kirchentage oder Fußballspiele unbedingt weitergehen und weiter besucht werden. Freiheit braucht Sicherheit.

Sie kann und sie muss verteidigt werden. Und wie immer nach solchen Anschlägen rückt wieder stärker ins öffentliche Bewusstsein, dass Freiheit und Sicherheit in einer Welt, in der auch die Gefahren globalisiert sind, eben nicht naturgegeben sind. Und es ist absehbar, dass Innere Sicherheit ein großes Thema dieses Bundestagswahlkampfes werden wird. Die Menschen erwarten die Versicherung des Staates, dass dieser die allgemeine Sicherheit nach bestem Wissen und Gewissen garantieren kann.

Jetzt also suchen Ermittler mit Hochdruck nach einem möglichen terroristischen Netzwerk, auf das sich der Attentäter von Manchester abstützen konnte. Jede Information zählt. Potenzielle Attentäter, teilweise hinter unscheinbarer Fassade, leben mitten in den Gesellschaften des Westens. Auch in Deutschland. Ein nächster Anschlag muss mit allen erlaubten verfügbaren Mitteln verhindert werden. Sicherheitspannen und Behördeninkompetenz wie im Falle des Weihnachtsmarkt-Attentäters Anis Amri dürfen sich nicht wiederholen.

Und dennoch kann sich ein Staat nicht zu hundert Prozent vor Terror und Attentaten schützen. Die totale Abschottung, die völlige Überwachung sind nicht die Lösung. Demokratische Gesellschaften sind angreifbar, weil Offenheit zu ihrem Wesenskern zählt. Damit müssen wir leben. Sich seine Lebensgewohnheiten vom Rhythmus des Terrors diktieren zu lassen, ist keine Alternative. Dann wären wir alle bald sehr unfrei.

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