GA-Klimazeitung Eine fiktive Talkrunde zum Thema Klimaschutz

Alle finden den Klimaschutz wichtig? Wichtiger scheinen sie zu finden, intensiv darüber zu reden. Wolfgang Pichler hat einer (natürlich völlig fiktiven) Talkrunde zum Thema zugehört.

Moderator (mit Zahnpasta- lächeln): Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Ich begrüße Sie zu einer neuen Folge von „Softe Fragen – Wachsweiche Antworten“. Unser Thema heute: „Heiß, heißer, Sommer 2018 – Ist das Klima noch zu retten?“.

Musik: (Albert Hammond, „Seems it never rains in Southern California“)

Moderator: Als Gäste haben wir Vertreter diverser bundesweit tätiger Parteien eingeladen. Aber zunächst hören wir eine Stimme der jungen Generation, die von der Klimakrise besonders betroffen ist.

Bro Catastro, Youtuber: Yo, Diggis! Das Klima ist echt im [an dieser Stelle fügt die Regie ein lautes „Piiiep!“ ein]. Ich sag' euch: Der Planet hat uns krass an den [piiiep!]. Wenn ihr fetten alten [piiiep!] nicht bald was tut, dann [piiiep!] [piiiep!] [piiiep!].

Adelheid Kuasi-Mertz (Union Demo- kratische Mitte): Also, das finde ich jetzt aber üble Meinungsmache. Außerdem bin ich kein fetter alter [piiiep!].

Moderator: Und wir haben eine Stimme aus der Wissenschaft. Aus Amsterdam ist zu uns gekommen Willemijn Kaas-Sandra von der Koninklijke Maatschappij voor de Verforsching van het Klijma. Frau Professorin, geben Sie uns bitte eine Einführung in das Problem.

Willemijn Kaas-Sandra: Das Weltklimasystem befindet sich in einer höchst kritischen Lage. Wenn es uns nicht gelingt, die durchschnittliche – und ich sage: durchschnittliche! – Erwärmung des Globus auf anderthalb Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Ära ...

AKM: Hä? Ich dachte, zwei Grad?

Kaas-Sandra: Früher, ja. Wir haben zu lange gezögert. Jetzt wissen wir, dass bei anderthalb Grad Schluss sein muss. Sonst werden alle möglichen Prozesse des komplizierten Klimasystems ins Rutschen geraten, und wir können die Krise endgültig nicht mehr aufhalten.

Herrmann Höckler (Nationale Sammlungsbewegung der Altparteikritischen Patrioten): Moooment! Ist das sicher?

Kaas-Sandra: Zu 99 Prozent.

Höckler: Also nicht zu 100?

Kaas-Sandra: Hundertprozentige Gewissheiten kann es in der Naturwissenschaft niemals geben.

Höckler: Na also! Sie sind sich also nicht sicher! Die Wissenschaft ist sich uneins, und das wird uns von der politisch korrekten Meinungsmache verschwiegen! Lügenpresse! Merkel muss weg!

Moderator: Ich muss doch bitten! Frau Professorin Kaas-Sandra ist Nobelpreisträgerin für Klimaphysik.

Höckler: Ach, wer braucht schon Experten! Die lügen doch sowieso alle in diesem linksgrünen Systemstaat!

Roland Haarlock (Grün-Rosa Bündnis): Ich weiß echt nicht, wo das Problem ist. Klimaschutz ist echt cool.

Moderator: Wir begrüßen den Vertreter einer Partei, die bei den letzten Wahlen ihren Stimmenanteil bundesweit verdoppelt hat, indem sie auf das Klimaproblem aufmerksam machte.

Haarlock: Sag' ich doch – cool, oder?

Publikum: Bravooo! (wirft Kuscheltiere auf die Bühne)

Bro Catastro: Ey! Aber da gibt's eine andere Partei, die voll abgeloost hat! Die tun halt einfach nichts, diese [piiiep]!

AKM: Ich verwahre mich gegen diese unerhörte Unterstellung! Wir können das Klima nicht allein retten. Deutschland erzeugt nur zwei Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes. Global gesehen spielen wir überhaupt keine Rolle.

Haarlock: Spielen jeweils zwei Prozent weniger bei jeder kommenden Wahl für Sie auch keine Rolle? Uns kann's recht sein. Hähähähä!

Dagobert Entner (Bündnis Wirtschaftsfreundlicher Liberalismus): Ich bin erschüttert von der Heuchelei des Kollegen. Wasser predigen und Wein trinken! Wir kennen doch alle die Fotos, wo Sie auf dem Boot über die Flensburger Förde brettern ...

Haarlock: Cooles Teil, oder? Fährt mit Biodiesel! Schlüssel gefällig?

Entner: Echt? Darf ich wirklich?

AKM: Wir als Volkspartei sehen das viel seriöser. Wir stehen in der staatspoli- tischen Verantwortung für Zukunft, Sicherheit und Wohlstand für die Menschen in diesem unserem Lande. Dazu müssen wir nicht über das Dass reden, sondern vor allem über das Wie. Wo soll denn überhaupt das Geld herkommen?

Kevin Luxemburg (Partei des Sozialistischen Realismus): Die Reichen sollen's zahlen ...

Publikum: Bravooo! (applaudiert)

Luxemburg: ... also jeder, der über der statistischen Armutsgrenze von monatlich 781 Euro netto liegt.

Publikum (Schrecksekunde): Buuuh! (wirft mit Gehaltsabrechnungen)

Moderator: In der Zwischenzeit schalten wir live ins Kanzleramt.

Regie: Die Schalte verzögert sich. Die Kanzlerin ist gerade in Brüssel.

Moderator: Kein Problem. Dann versuchen wir es später noch einmal.

Entner: Gegen diesen neokommunistischen Irrsinn müssen wir klare Zeichen setzen! Nichts darf gegen den Willen unserer Leistungsträger erfolgen!

Andrea Schwalles (Sowohl-als-auch- demokratische Partei Deutschlands): Also, meine Genossinnen und Genossen müssen sich da überhaupt nichts vorwerfen. Wir haben ein Gesetz auf den Weg gebracht, gemäß dessen alle vom Braunkohleausstieg betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eine Übergangs-Unterstützung von 5,95 Euro monatlich erhalten, und zwar ohne Bedürftigkeitsprüfung. Wir haben unserem [piiiep!]en Koalitionspartner seinen [piiiep!] Vorschlag in die Fr[piiiep!] zurückgestopft, den Betrag zu Lasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf 5,24 Euro zu deckeln. Das ist ein großer Erfolg für unsere Partei.

Entner: Geld bekommen, ohne zu arbeiten? Das ist leistungsfeindlich!

Höckler: Außerdem fordere ich für meine deutschen Volksgenossen in der Lausitz ein Automobilwerk als Ausgleichsmaßnahme.

Moderator: Interessanter Vorschlag. Aber was sagt die junge Generation dazu? Hierzu haben wir einen weiteren prominenten Gast eingeladen.

Musik: (Cat Stevens, „From the moment I could talk / I was ordered to listen“)

Greta Tuwas, Klima-Aktivistin: Ich will, dass ihr in Panik geratet.

Publikum: (schweigt entsetzt)

Bro Catastro: Sista! Du bist zu leise!

Tuwas (lauter): Jeder von uns kann zur Senkung des CO2-Ausstoßes beitragen.

Publikum: Bravooo! (applaudiert)

Tuwas: Retten Sie die Zukunft der jungen Menschen!

Publikum: Bravooo! (applaudiert)

Tuwas: Es gibt viele Möglichkeiten.

Publikum: Bravooo! (applaudiert)

Tuwas: Fahren Sie ein kleineres Auto!

Publikum (Schrecksekunde): Buuuh! (wirft mit SUV-Zündschlüsseln)

Schwalles: Die Autoindustrie ist ein wichtiger Faktor für die Arbeitsplätze der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land. Was sie schädigt, ist mit meiner Partei nicht zu machen.

Haarlock: Wie wär's mit Biodiesel?

Luxemburg: Blödsinn. Man muss die stattdessen alle enteignen.

Publikum: Bravooo! (applaudiert)

Schwalles: Ich verwahre mich gegen diese unerhörte Verzerrung sowohl-als-auch-demokratischer Politik!

AKM: Wir in der Union arbeiten intensiv an neuen, seriösen Mobilitätskonzepten. Demnächst wird unser Verkehrsminister Anderl Teuer einen Masterplan für solarbetriebene fliegende Autos aus den Bavarian Science Fiction Motorworks vorlegen.

Moderator: Und die Kanzlerin?

Regie: Ist gerade in Paris.

Moderator: Äääh – wir warten weiter. Wo waren Sie gerade, Frau Tuwas?

Tuwas: Fahren Sie nur noch mit öffentlichen Verkehrsmitteln!

Publikum: Buuuh! (wirft mit Verspätungs-Formularen der Bahn AG)

Tuwas: Meine Generation sollte auf Schulfeten auf Mallorca verzichten.

Publikum: Buuuh! (wirft mit Sangriaeimern und Aufklebern „Abi 2019 – Die Party geht weiter!“)

Tuwas: Keinerlei Billigflüge mehr.

Publikum: Buuuh! (wirft mit Ryanair-Bordkarten ...)

Tuwas (stoisch): Weniger Fleisch.

Publikum: Buuuh! (... Grillzangen ...)

Tuwas: Und das Internet weniger nutzen. Jede einzelne Google-Recherche erzeugt nämlich genau so viel CO2 wie ...

Publikum: Buuuh! (... und Handys)

Haarlock: He, Greta, chill mal! Klimaschutz ist doch nicht anstrengend, sondern cool!

Publikum: Bravooo! (applaudiert)

Schwalles: Wir begrüßen das Engagement der jungen Menschen und unterstützen all diese Vorschläge rückhaltlos. Mit einer Einschränkung: Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Luftfahrt- und IT-Branche sowie die Landwirtinnen und Landwirte dürfen dabei keinerlei Nachteile erleiden.

Entner: Wir hingegen sind strikt gegen diese wirtschaftsfeindlichen Verbote. Wir setzen stattdessen auf Innovation.

Moderator: Zum Beispiel?

Entner: Digital first, Nachdenken second! Wie wär's mit einer App an der Smartwatch, die den Energieverbrauch jedes Bürgers in Echtzeit misst?

Luxemburg: Zum Beispiel des Porsche, den Sie fahren?

Entner: Ich verwahre mich gegen diese unerhörte Unterstellung! Außerdem ist das leistungsfeindlicher Sozialneid.

AKM: Ich lade alle demokratischen Parteien zu Gesprächen über seriöse, fortschrittliche Klimapolitik ein. Sie darf nur die Wirtschaft nicht schädigen.

Bro Catastro: Das ist doch wieder eine [piiiep!]. F[piiiep!] you, Union!

Schwalles: Im Interesse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nehme ich die Einladung an.

Entner: Nö. Lieber gar nicht regieren als schlecht regieren.

Haarlock: Also, ich fände Regieren echt cool. Chancellor for Future!

Moderator: Was sagt die Wissenschaft zum Thema Innovation? Gibt es technologische Ansätze, um das Anderthalb-Grad-Ziel doch noch zu erreichen?

Kaas-Sandra: Ja, gibt es.

Publikum: Bravooo! (applaudiert)

Kaas-Sandra: Wir könnten das CO2 aus der Luft holen und im Boden lagern.

Publikum: Buuuh! (wirft mit Plakaten der soeben gegründeten Bürgerinitiative „Kein tödliches Gift in unserer Erde!“)

Moderator: Und jetzt versuchen wir es noch einmal mit der Kanzlerin.

Regie: Jetzt ist sie in Pjöngjang.

Moderator: Ach, soll sie doch [piiiep]!

Entner: Wir wenden uns strikt gegen dieses ideologische Allheilgerede. Wir sagen: Die Lösung aller, wirklich absolut aller Probleme liegt in Wachstum und Digitali-...

Haarlock: Cool down, Dagi!

Moderator: Meine Damen und Herren, ich darf Sie alle bitten, zu einer sach- lichen Gesprächsführung zurückzukehren. Aber sagen Sie mal – finden Sie nicht auch, dass es hier ziemlich heiß ist?

Das Weltklima: Oh, das bin ich. Bitte verzeihen Sie mein Eindringen. Ich dachte, ich setze mich mal dazu. Viel reden kann ich allerdings nicht. (fiebrig) Mir geht es nämlich gerade nicht so gut. Hatschi! (Mosambik versinkt) Keuch! (Die Temperatur am Südpol steigt auf 32 Grad) Schnief! (Starkregen spült halb Sachsen und Brandenburg weg) Hatschi! (New Orleans versinkt)

Musik: (Supertramp, „It's raining again“)

Regie: Wir haben eine Stellungnahme ...

Moderator: Die Kanzlerin! Endlich!

Regie: Nein – aus den USA, zu den aktuellen Ereignissen.

@realdonaldtrump: So sad. But it's their own fault. They should have schöpfed the water out with garden buckets.

Höckler: Bravo! Genau das ist doch das Problem in diesem be[piiiep!]enen Systemstaat! Vor lauter linksversifftem Gerede werden die echten Lösungsmöglichkeiten einfach verschwiegen! Gegen den Klimawandel – den es im Übrigen gar nicht gibt –, stehen umweltfreundliche Techniken zur Verfügung. Erdgas zum Beispiel. Neulich habe ich mich mit einem russischen Freund unterhalten ...

Moderator: Ach? Wer war das?

Höckler: Bitte wer?

Moderator: Ihr russischer Freund, der sich mit Gasgeschäften auskennt.

Höckler: Ich verwahre mich gegen diese unerhörte Unterstellung!

Das Weltklima: Hatschi! (Die Gletscher der Antarktis rutschen ins Meer. Geräusch eines nahenden Tsunami.)

Tuwas: Ihr sollt in Panik geraten!

Publikum (gerät in Panik): Kreiiisch!

(Hysterische Flucht. Stühle fliegen. Staubwolken steigen auf.)

Die Runde (nicht mehr sichtbar): Wettbeweh! Arbeitsbläh! F[piiiep!] Globlabli! Unerhörte Unterstellung! Seriös! Lügenpresse! Cool! Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer! Digitalilalala!

Stimme des Moderators: Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen / den Vorhang zu und alle Fragen offen. Schalten Sie auch nächstes Mal wieder ein: Wir melden uns dann zum Thema „Keiner hört mehr zu – Wo bleibt die Diskurskultur?“. (resigniert) Falls es ein nächstes Mal gibt. Abspann, bitte!

Musik: (Richard Wagner, Finale aus „Götterdämmerung“. Steigende Fluten, berstende Mauern, Feuerflammen.)

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