Einsparungen von bis zu 95 Prozent EU prüft neues Umsatzsteuersystem

Brüssel · Dem Mehrwertsteuerdurcheinander möchte die EU nun mit mehr Flexibilität entgegentreten. Kleine und mittelständische Betriebe will die Kommission entlasten. Die Entscheidung liegt allerdings bei den Mitgliedsstaaten.

Warum ein Antennenkabel für den Fernseher im heimischen Rundfunkmarkt mit 19 Prozent Umsatzsteuer belegt wird, beim Onlinehändler aus der EU-Nachbarschaft ohne Zuschlag deutlich billiger zu haben ist, versteht ohnehin kaum jemand. Nun will die EU das Mehrwertsteuerdurcheinander in der Union anpacken, indem sie noch mehr Flexibilität erlaubt.

Rund fünf Milliarden Euro entgehen den Mitgliedstaaten derzeit durch nicht abgeführte Mehrwertsteuer. In zwei Jahren dürften es bereits sieben Milliarden sein. Am Donnerstag legte die Brüsseler EU-Kommission deshalb einen neuen Vorschlag zur Reform der Umsatzsteuer in der 28er Gemeinschaft vor.

Wichtiges Ziel

Der Onlinehandel soll einbezogen werden, um den Wettbewerb mit den stationären Geschäften fair zu machen. Und außerdem will die Kommission kleine und mittelständische Betriebe von deutlich überhöhten Verwaltungskosten entlasten.

Doch der gewählte Weg ist umstritten. Denn anstatt die Mehrwertsteuer strikter anzugleichen, schlug die Verwaltung der Union vor, den Mitgliedstaaten mehr Flexibilität zu erlauben. Neben dem nationalen Regelsatz (in Deutschland 19 Prozent) und einem ermäßigten Steuersatz (hierzulande derzeit sieben) Prozent dürfen die Finanzminister bald noch eine Billigklasse von bis zu fünf Prozent einführen.

Auch eine völlige Befreiung ist möglich. „Damit droht ein Wildwuchs“, kritisierte der Finanzpolitiker der Grünen-Europa-Fraktion, Sven Giegold. „Die Vermehrung nationaler Extrawürste widerspricht der Idee des Binnenmarktes.“

Dennoch sieht auch Giegold die Fortschritte im Vorschlag der Kommission. So werden ab 2021 alle Kleinstlieferungen aus einem Nicht-EU-Land mit einem Wert von bis zu 22 Euro mit Mehrwertsteuer belegt. Genauso wie die großen Anbieter müssen die Verkäufer dann die Lieferadresse notieren, weil die eingezogene Umsatzsteuer später an die Mitgliedstaaten ausgezahlt wird.

Einsparungen bei Verwaltungskosten

Kleinere Unternehmen, die weniger als 10.000 Euro im grenzüberschreitenden Handel erwirtschaften (das sind etwa 97 Prozent aller Minibetriebe in der EU), zahlen ihre Zuschläge an das eigene Finanzamt. Sie brauchen keine aufwendige Verteilung der Gelder an die Finanzämter der Käufer vorzunehmen. In Einzelfällen würden sich Einsparungen bei den Verwaltungskosten von bis zu 95 Prozent im Vergleich zu heute ergeben, heißt es bei der Kommission.

In anderen Punkten sollen Schieflagen beseitigt werden. So dürfen die Regierungen nach Inkrafttreten der Vorschläge für Online-Veröffentlichungen (E-Books) den gleichen ermäßigten Steuersatz anwenden wie für gedruckte Inhalte, was vor allem den Verlagen zugutekommt.

Anstelle der bisherigen Liste von Gütern und Dienstleistungen, für die ein ermäßigter Steuersatz erlaubt ist, soll es eine Aufstellung der Produkte geben, für die keine Reduzierung der Umsatzsteuer erlaubt ist. Dazu zählen zum Beispiel Waffen, alkoholische Getränke, Glücksspiel und Tabak.

Ob das aber tatsächlich zu einer Angleichung der rund 250 ermäßigten Steuersätze führt, die die Mitgliedstaten derzeit eingeführt haben, bezweifeln viele Beobachter. Zwar müssen die Mitgliedstaaten auch künftig eine landesspezifische Steuer an den zentralen Ausschuss des EU-Kommission melden. Dort wird aber nur registriert und nicht korrigiert. Denn schließlich gehört die Steuerpolitik zu den Hoheiten der Mitgliedstaaten. Brüssel darf zwar Vorschläge machen, muss sich aber dem Votum der Finanzminister beugen.

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