Wikileaks-Aktivist Assange und das Botschafts-Patt

London · Fortsetzung im Drama um Julian Assange: Die Entscheidung Ecuadors, dem Wikileaks-Aktivisten Asyl zu gewähren, wirft neue, brisante Fragen auf. Die Wichtigste: Wie soll Assange aus der schützenden Immunität der Botschaft Ecuadors im Stadtteil Knightsbridge zu einem Londoner Flughafen gelangen?

 Polizisten sind vor der Botschaft von Ecuador in London aufgezogen.

Polizisten sind vor der Botschaft von Ecuador in London aufgezogen.

Foto: dpa

Scotland Yard will den 39-Jährigen verhaften, sobald er das Gebäude verlässt. Der diplomatische Sturm über der kleinen Insel der Immunität in West-London tobt weiter. Am Donnerstagmittag beschied Ecuadors Außenminister Ricardo Patini, dass sein Land den schillernden Star der Hacker-Szene, der sich seit dem 25. Juni in der Botschaft verschanzt, nicht der britischen Polizei übergeben wolle.

Zu groß sei die Gefahr, dass Assange an die USA weitergereicht werden und dort misshandelt oder mit dem Tode bestraft werden könne: "Es hat trotz langer Verhandlungen keine Zusagen oder Garantien gegeben, dass er nicht an Drittstaaten ausgeliefert wird", so Patini, "daher haben wir entschieden, Assange politisches Asyl in Ecuador zu gewähren."

[kein Linktext vorhanden]Gegen den Wikileaks-Aktivisten liegt ein europäischer Haftbefehl aus Schweden vor, wo er wegen Vorwürfen zur sexuellen Nötigung in zwei Fällen befragt werden soll. Gegen die Überführung nach Skandinavien hat Assange vergeblich geklagt. Er fürchtet, weiter an die USA gereicht zu werden, wo ihm wegen der Veröffentlichung geheimer Kriegsdepeschen Ärger droht. Als er den juristischen Streit vor zwei Monaten in letzter Instanz verlor, flüchtete er aus dem Hausarrest auf einem Landsitz in Norfolk in die ecuadorianische Botschaft nach London.

Wegen der diplomatischen Immunität darf Scotland Yard das Gebäude nicht betreten. Doch Assange darf es eben auch nicht verlassen. Mittwochnacht ist das Polizeiaufgebot vor der Tür noch einmal verstärkt worden. Freies Geleit will London ihm nicht geben, im Gegenteil: Das Außenministerium wies darauf hin, dass sie die Immunität von Botschaftsgebäuden aufheben kann, wenn sie für Straftaten missbraucht werden.

Eine Sprecherin betonte am Donnerstag: "Wir haben eine rechtliche Verpflichtung, Assange auszuliefern und sind entschlossen, ihr nachzukommen." Wer diese Patt-Situation lösen will, braucht auf jeden Fall viel Fantasie. Assange kann sein Asyl in Ecuador nur antreten, wenn ihm der ungehinderte Transfer in ein Flugzeug gelingt. Zwar genießen auch Fahrzeuge der Botschaft diplomatische Immunität, doch der 39-Jährige dürfte weder die Straße noch das Rollfeld betreten, wenn er seiner Verhaftung entgehen will.

Schon wird spekuliert, ob der Australier als "diplomatisches Kuriergepäck" verschickt werden könnte - in den Kisten oder Säcken werden normalerweise Pässe und vertrauliches Material an Missionen im Ausland transportiert. Auch sie dürfen vom Gastgeberland im Regelfall nicht kontrolliert werden. Andere Optionen scheiden aus: So nutzt es nichts, Assange in der Botschaft zu einem Staatsbürger Ecuadors zu machen, weil der Haftbefehl Schwedens weiter Bestand hätte.

Der Australier kann auch nicht Immunität erlangen, indem er Botschafter Ecuadors wird - die Diplomatenpässe muss das Auswärtige Amt Großbritanniens genehmigen. Könnte Assange also zu einem UN-Gesandten gemacht werden und so Immunität erlangen? Oder wird er sich wie James Bond per Helikopter in Heathrow abseilen? Oder gar den Rest seines Lebens auf der Luftmatratze im Erdgeschoss der Botschaft verbringen? Ausgeschlossen ist das nicht - ein ungarischer Kardinal hat es so immerhin 15 Jahre lang in einer US-Botschaft ausgehalten.

Ganz sicher nicht denkbar ist eine diplomatische Einigung zwischen Ecuador und Großbritannien. Außenminister Patini verwehrt sich gegen die angedrohte Razzia seiner Botschaft energisch: "Wir sind keine Kolonie des Königreiches." Demonstranten griffen den Satz am Donnerstag auf und skandierten ihn vor der Botschaft in London. Der Ton wird schärfer, vor allem auf britischer Seite. Hier wird befürchtet, dass prominente Kriminelle dem Beispiel Assange folgen und ebenfalls Asyl in Botschaften ersuchen könnten. Assange will man deshalb so schnell wie möglich festsetzen - gerne unter den Augen der Weltpresse.

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