KZ-Gedenkstätte Angela Merkel besucht erstmals in ihrer Amtszeit Auschwitz

Auschwitz · Angela Merkel besucht zum ersten Mal in 14 Jahren Amtszeit die KZ-Gedenkstätte Auschwitz – und ist sichtlich erschüttert.

  „Was hier geschah , ist mit dem menschlichen Verstand nicht zu erfassen.“ Kanzlerin Angela Merkel mit Museumsdirektor Piotr Cywinski vor dem Eingangstor des NS-Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau.

„Was hier geschah , ist mit dem menschlichen Verstand nicht zu erfassen.“ Kanzlerin Angela Merkel mit Museumsdirektor Piotr Cywinski vor dem Eingangstor des NS-Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau.

Foto: AP/Markus Schreiber

Ein schneidender Dezemberwind weht Angela Merkel entgegen, als sie im Eingangstor unter dem berüchtigten Schriftzug „Arbeit macht frei“ stehen bleibt. Die Sonne strahlt, aber es ist eisig kalt an diesem Freitagmittag in Auschwitz. Das Tor zur Hölle ist dieser Ort genannt worden. Und tatsächlich sind die Krematorien nicht weit, in denen die SS wie am Fließband Leichen verbrennen ließ. Wie soll Merkel da in die Kameras schauen, die vor ihr und dem polnischen Premier Mateusz Morawiecki surren und klicken? Das fällt selbst einer Bundeskanzlerin nach 14 Jahren im Amt erkennbar schwer.

Merkel ist an diesem Freitag zum ersten Mal in Auschwitz, dem Ort, an dem deutsche Täter mehr als eine Million Menschen nach einem perfiden Vernichtungsplan ermordet haben. Die meisten von ihnen mussten nur deshalb sterben, weil sie Juden waren. Sie wurden in Gaskammern gepfercht, erschossen oder als medizinische Versuchskaninchen missbraucht.

Wie schwer das für eine Regierungschefin zu ertragen ist, die das Volk der Täter repräsentiert, bekennt Merkel später in ihrer Ansprache: „Ich empfinde tiefe Scham, wenn ich an die Verbrechen denke, die an diesem Ort von Deutschen verübt wurden. Was hier geschah, ist mit dem menschlichen Verstand nicht zu erfassen.“

Selbstverständlich hat man solche Worte von deutschen Politikern auch bei anderen Gelegenheiten schon gehört. Aber Merkel vermittelt durch ihr ganzes Auftreten in Auschwitz den Eindruck, dass dies mehr ist als ein staatsoffizieller Pflichtbesuch. Eher scheint die Kanzlerin einem inneren, zutiefst persönlichen Drang zu folgen, dieses Zeichen noch im Amt zu setzen. Wer weiß schon, wie lange sie noch regiert?

Da ist zum Beispiel die Szene an der sogenannten Schwarzen Wand, einem Kugelfang aus dunklen Isolierplatten. Die SS und ihre Helfer vollstreckten an dieser Stelle Tausende willkürlich gefällte Todesurteile. Merkel und Morawiecki legen dort Kränze nieder und verharren für eine Schweigeminute. Anschließend treten sie zurück und verfolgen die weitere Zeremonie. Doch dann gerät Merkel auf dem unebenen Untergrund leicht ins Straucheln und reicht Morawiecki unwillkürlich eine Hand, der sie sofort ergreift, um zu helfen. Ganz schnell ist alles wieder vorbei, aber die Geste sagt mehr als jede denkbare Inszenierung.

Für Merkels persönliche Motivation spricht auch die Tatsache, dass sie keinen der großen historischen Anlässe gewählt hat, um sich selbst mit dem Grauen der deutschen Geschichte zu konfrontieren. Die Kanzlerin ist auf Einladung der Stiftung Auschwitz-Birkenau gekommen, die vor zehn Jahren gegründet wurde. Bereits im Vorfeld ihrer Reise hatte die Kanzlerin angekündigt, dass Bund und Länder 60 Millionen Euro in einen Fonds einzahlen werden, um die Arbeit der Organisation zu unterstützen, die den Erhalt der KZ-Gedenkstätte und damit auch einen Teil der Erinnerung dauerhaft sichern soll. „Wir bekennen uns zu einer deutlichen Erhöhung des Stiftungskapitals“, versichert Merkel am Freitag in ihrer Rede.

Doch wie gedenkt man jener Verbrechen am besten, die jenseits des menschlichen Vorstellungsvermögens angesiedelt sind? Merkel wiederholt in Auschwitz fast wortgleich jenen Satz, den auch Helmut Schmidt schon 1977 gesagt hatte, der als erster deutscher Kanzler nach Auschwitz gekommen war. Vor Entsetzen müsse man an diesem Ort eigentlich verstummen, sagt die Kanzlerin. Aber Schweigen dürfe keinesfalls die einzige Antwort sein. Man müsse die Täter benennen und den Opfern ein würdiges Andenken erhalten. „Einen Schlussstrich darf es nicht geben.“

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