FDP-Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff: "Es darf so bald keine weiteren Beitritte geben"

Der FDP-Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff spricht im Interview mit dem General-Anzeiger über Erfolge und Probleme bei der Osterweiterung und die EU-Perspektiven der Ukraine.

 Hoffnungen erfüllt: Alexander Graf Lambsdorff.

Hoffnungen erfüllt: Alexander Graf Lambsdorff.

Foto: dpa

Wie fällt Ihr Fazit nach zehn Jahren EU-Osterweiterung aus? Haben die Hoffnungen sich erfüllt?
Alexander Graf Lambsdorff: Ja, ganz eindeutig. Unsere Verflechtung mit den Ländern Mittel- und Osteuropas ist inzwischen enger als mit den USA. Wir haben unglaublich viel Handel und gegenseitigen Austausch. Ganz klar: Die Osterweiterung von 2004 ist ein großer Erfolg. Die Ukraine-Krise zeigt das beispielhaft. Wäre Polen nicht EU-Mitglied, würden die Spannungen aus dem Osten der Ukraine bis an die deutsche Grenze getragen. Viel schwieriger ist es mit Bulgarien und Rumänien, die aber erst 2007 beigetreten sind - immer noch zu früh.

Und die Befürchtungen? Vor der Erweiterung 2004 war viel von steigender Kriminalität, Arbeitskräftekonkurrenz und Billiglöhnen die Rede.
Lambsdorff: Kriminelle lassen sich nicht abhalten, ob ihr Heimatland EU-Mitglied ist oder nicht. Es hat auch Probleme mit der Scheinselbstständigkeit gegeben, denken sie an das "Haus der 130 Fliesenleger" in Köln. Diese Probleme haben sich, wie von der FDP von Anfang an vorhergesagt, mit dem Auslaufen der Übergangsfristen für Arbeitnehmer erledigt. Inzwischen sind viele Betriebe in Deutschland froh, dass sie auf qualifizierte Arbeitnehmer aus den Beitrittsstaaten zurückgreifen können. Der Fachkräftemangel bei uns ist längst Realität.

Sind die Beitrittsstaaten auch emotional an Europa herangerückt?
Lambsdorff: Für die Menschen dort war der Beitritt zum Schengen-Raum, also das Fallen der Schlagbäume und die Reisefreiheit, emotional fast noch wichtiger als der EU-Beitritt. Wenn ich mir das Baltikum und Polen anschaue, sehe ich eine ganz enge Verbindung mit unseren europäischen Werten. Das Beispiel Ungarn zeigt allerdings, dass die Entwicklung nicht zwangsläufig so positiv sein muss.

Ungarn unter dem Regierungschef Viktor Orban zeigt antidemokratische Tendenzen. Wie weit reicht der Einfluss der EU, dem gegenzusteuern?
Lambsdorff: Die EU kann mehrere Dinge tun: Darauf hinweisen, dass das, was an Gesetzen in Budapest beschlossen wird, nicht akzeptabel ist, man kann Vertragsverletzungsverfahren einleiten. Wenn das nicht hilft, kann man auch ein Verfahren einleiten, um Ungarn das Stimmrecht im Europäischen Rat zu entziehen.

Ist das mehr als eine theoretische Möglichkeit?
Lambsdorff: Es ist in der Tat schwierig, so ein Verfahren einzuleiten. Auch, weil sich CDU/CSU und mit ihnen die gesamte Europäische Volkspartei immer wieder schützend vor Orban gestellt haben.

Die EU hat 28 Mitgliedstaaten. Muss man mittlerweile nicht von einer Überdehnung sprechen?
Lambsdorff: Ganz eindeutig ja. Es darf so bald keine weiteren Beitritte geben. Die EU braucht eine Phase der Konsolidierung.

Was bedeutet das konkret?
Lambsdorff: Die Kommission muss verkleinert werden. 28 Kommissare produzieren zu viele Gesetze und Verordnungen, die überflüssig sind. Ein weiteres, ganz praktisches Beispiel: Wir haben in der EU 21 Amtssprachen, das sind einfach zu viele. Und außerdem müssen wir die Lebensstandards annähern, die gegenwärtig zu weit auseinander liegen.

Trotzdem wird angesichts der Krise in der Ukraine über eine Annäherung des Landes an die EU geredet. Ist eine Mitgliedschaft der Ukraine denkbar?
Lambsdorff: Rechtlich hat die Ukraine ohnehin die Möglichkeit, sich um eine EU-Mitgliedschaft zu bewerben. Sie ist schließlich ein europäisches Land. Aber politisch und wirtschaftlich muss völlig klar sein, dass ein ukrainischer EU-Beitritt in absehbarer Zeit nicht infrage kommt. Das Land hat es in den Jahren seiner Eigenständigkeit nicht vermocht, sein großes Potenzial zu realisieren.

Dagegen steht die Türkei in konkreten Verhandlungen...
Lambsdorff: Der Besuch von Bundespräsident Gauck hat gezeigt, wo die Probleme in der Türkei liegen. Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit sind in der Türkei immer stärker unter die Räder geraten. Eine so autoritär regierte Türkei kann sicher nicht EU-Mitglied werden.

Wenn wir zehn Jahre nach vorne schauen: Wird die EU 2024 noch 28 Mitglieder haben?
Lambsdorff: Wir müssen dann vor allem ein Europa der zwei Geschwindigkeiten haben, mit einer besseren Zusammenarbeit in der Euro-Zone. Darum wird sich ein Ring von Staaten gruppieren, mit engen Verbindungen zu EU. Ob die EU selbst dann noch 28 Mitglieder hat, ob es mehr sein werden oder weniger, lässt sich heute nicht seriös vorhersagen.#

Zur Person

Alexander Graf Lambsdorff ist seit 2004 für die FDP Mitglied des Europäischen Parlaments. Lambsdorff, 1966 in Köln geboren, machte sein Abitur in Bad Godesberg, studierte in Bonn und Washington und wurde Diplomat. Er ist FDP-Spitzenkandidat für die Europawahl. Der Neffe des früheren Wirtschaftsministers Otto Graf Lambsdorff ist verheiratet und hat zwei Kinder.

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