Kommentar zur Lage der christlichen Kirchen in Deutschland Wege zur Trendwende

Meinung · Die Kirche wird neue Wege finden müssen, wie Gemeinden auf junge Leute zugehen können, kommentiert GA-Korrespondent Benjamin Lassiwe.

 Die Zahlen der Kirchenaustritte sind rückläufig.

Die Zahlen der Kirchenaustritte sind rückläufig.

Foto: dpa

Weniger Austritte, mehr Eintritte: Haben die beiden großen Kirchen die Trendwende erreicht? Die Zahlen, die die katholische Deutsche Bischofskonferenz und die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) am Freitag veröffentlichten, stimmen jedenfalls hoffnungsvoll. Was auch damit zusammenhängen dürfte, dass das vergangene Jahr aus Sicht beider großer Kirchen extrem positiv verlaufen ist: Es gab keinen großen neuen Missbrauchsskandal, keinen prunksüchtigen Bischof und erst recht kein Störfeuer aus Rom.

Dafür konnten die Kirchen in der Flüchtlingskrise einmal so richtig zeigen, wofür es gut ist, dass es in Deutschland mehr als 50 Millionen Menschen gibt, die sich die Nächstenliebe auf die Fahnen geschrieben haben. Ohne das Engagement unzähliger Kirchengemeinden, ohne das Engagement von Caritas und Diakonie hätte Deutschland die Ausnahmesituation der letzten Jahre wohl kaum so gut bewältigt. Die Kirchen sind durch ihre Hilfe in der Flüchtlingskrise wieder in das Blickfeld der Öffentlichkeit geraten, und zwar als Institution, die da ist, wenn sich ansonsten keiner kümmert.

Was sich auch an anderer Stelle niederschlägt: Überall in Deutschland kommen derzeit Menschen aus dem Iran und aus Afghanistan in die Kirchengemeinden, um an einem Glaubenskurs teilzunehmen und sich taufen zu lassen. Dass es in den Kirchen im vergangenen Jahr flächendeckend mehr Erwachsenentaufen gab, dürfte auch mit diesem Phänomen zusammenhängen.

In vielen Gemeinden und Kirchenkreisen gibt es eine gewandelte Mentalität: Tauffeste für Familien, die sich selbst die oft aufwendig gefeierte Taufe finanziell nicht leisten können, gehören in der evangelischen Kirche mittlerweile zu den Standardangeboten. Gleiches gilt für den Elternabend mit dem Pfarrer, der in der kirchlich betriebenen Kindertagesstätte über die Möglichkeit einer Taufe berichtet. Vor zehn Jahren noch war so etwas in der Kirche eher „pfui“: Wer Mission, also Mitgliederwerbung, betrieb, galt schnell als christlicher Fundamentalist.

Ausruhen freilich können sich die Kirchen nun auch nicht. Denn noch sterben mehr Menschen, als neu in die Kirchen eintreten. Und der Altersdurchschnitt der Kirchenmitglieder wächst. Einen Zugang zu finden zu Menschen, die heute zwischen 20 und 40 Jahren alt sind, fällt den Kirchen weiter schwer. Sicher, die Kirchentage zeigen, wie Großevents auch jüngere Menschen begeistern können.

Dennoch wird man neue Wege finden müssen, wie Gemeinden auf junge Leute zugehen können. Ein erster Schritt könnte es sein, dass statt des Ankaufs einer neuen Orgel über die Einstellung eines Jugendmitarbeiters nachgedacht wird. Oder dass Gottesdienste an ungewöhnlichen Orten stattfinden – in Großbritannien etwa machen Kirchengemeinden, die ihre Sonntagsgottesdienste in den Dorfgasthof verlagern, bereichernde Erfahrungen.

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