Zivilschutz in Deutschland Was der Bund für schlechte Zeiten lagert

Bonn · Die Regierung empfiehlt, nicht nur privat Vorsorge zu treffen. Eine Million Tonnen an Lebensmitteln stehen im Ernstfall bereit.

Die Standorte sind geheim. Nur ein kleiner Teil der deutschen Bevölkerung weiß, wo sie stehen: die 150 Lagerhallen, in denen die Bundesrepublik Nahrungsmittel für den Notfall bunkert. Im Krisenfall sollen diese Notvorräte die Menschen zwischen einigen Tagen und mehreren Wochen satt machen. Die Geheimniskrämerei ist aus Sicht der Bundesrepublik nötig: Sie befürchtet, dass die Standorte im Fall einer Versorgungskrise ansonsten verstärkt Ziel von Plünderungen werden könnten. „Passive Sicherheit“ heißt das Konzept. „Ich selbst weiß auch nicht, wo alle Lager stehen“, erklärt der Sprecher der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE), Tassilo von Leoprechting, auf Anfrage des General-Anzeigers. Die BLE kauft und lagert die Lebensmittel im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), dessen Hauptsitz Bonn ist.

Trotz Geheimhaltung gibt es natürlich Menschen, die die Standorte kennen: zum Beispiel Lieferanten und Kontrolleure. Aber auch diejenigen, die die Lagerhallen zur Verfügung stellen, wissen Bescheid. Das sind kleine und mittelständische Unternehmen. „Es gibt immer wieder mal öffentliche Ausschreibungen, in denen die Anforderungen beschrieben werden. Interessenten, die eine geeignete Halle besitzen, können sich dann bewerben“, erklärt der Sprecher der BLE. Wer die Lagerorte kennt, ist allerdings an eine Geheimhaltungspflicht gebunden. Alle Eingeweihten willigen mit ihrer Unterschrift ein, dass sie sich auch daran halten.

In einigen Hallen liegen säckeweise Hülsenfrüchte, andere sind bis unters Dach mit Getreide gefüllt. Am 31. Dezember 2015 waren es insgesamt über eine Million Tonnen Nahrungsmittel. Neben Weizen, Roggen und Hafer sind Vorräte von Reis, Erbsen, Linsen und Kondensmilch für den Krisenfall vorhanden. Die offiziellen Bezeichnungen für die Vorräte sind Zivile Notfallreserve und Bundesreserve Getreide.

Erstere dient im Ernstfall der Versorgung mit wenigstens einer warmen Mahlzeit pro Tag, letztere soll sicherstellen, dass ausreichend Brot und Mehl zur Verfügung stehen. Durch zwei Kriterien wird bestimmt, welche Lebensmittel gelagert werden: „Es geht vor allem darum, dass es Lebensmittel sind, die zum einen lange haltbar sind und zum anderen natürlich im Ernstfall ordentlich satt machen“, erklärt von Leoprechting. „Erbsensuppe zum Beispiel ist ja sehr kräftig.“

Insgesamt zehn Jahre lagern die Nahrungsmittel in den Hallen, dann werden sie ausgetauscht. Die BLE nennt diesen Vorgang „wälzen“. Da die Lebensmittel dann noch nicht abgelaufen sind, werden sie weiterverkauft. Die Aufrechterhaltung der Notreserve und deren Kontrolle kostet die Bundesrepublik jährlich rund 16 Millionen Euro. Dazu kommen die Kosten für die Lebensmittel selbst. Insgesamt liegt in den Hallen Nahrung im Wert von über 200 Millionen Euro. Ein Kostenpunkt, der allerdings angesichts der Lagerung nur alle zehn Jahre entsteht.

Aber wie wahrscheinlich ist es eigentlich, dass die Reserven auch gebraucht werden? Bisher wurden die Nahrungsvorräte nur ein einziges Mal angezapft: 1999 transportierte die Bundeswehr mit Flugzeugen und Lastwagen Hunderte Tonnen Linsen, Erbsen und Reis in den Kosovo. Rund um die Osterfeiertage war dort durch die Flüchtlingsbewegung ein großer Bedarf an Nahrung entstanden, der regional nicht gedeckt werden konnte. Wie das Bundesministerium schreibt, handelt es sich dabei jedoch eher um eine „unübliche Vorgehensweise“: „Grundsätzlich sind die zum Zwecke der Ernährungssicherstellung gehaltenen Vorräte nicht zur Nahrungsmittelhilfe in anderen Ländern, sondern zur Unterstützung der Versorgung der eigenen Bevölkerung in einer Versorgungskrise gedacht“, erklärt das Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft auf Anfrage schriftlich. Bei der Lieferung in den Kosovo habe es sich um eine Ausnahme von diesem Grundsatz gehandelt.

Als Ursachen für eine mögliche Versorgungskrise führt das Ministerium nicht nur terroristische Anschläge an. Auch im Fall von Natur- und Umweltkatastrophen, Unfällen in großtechnischen Anlagen, Tierseuchen größeren Ausmaßes und Streiks könnte es demnach zu Nahrungsengpässen kommen. Und auch in „einem militärischen Spannungs- und Verteidigungsfall“ soll die Bevölkerung durch die Vorräte versorgt werden.

Im Fall von 1999 war es die Bundeswehr, die die Lebensmittel auslieferte – ebenfalls ein Ablauf, der so eigentlich nicht vorgesehen ist. „Zunächst sind die Bundesländer für die Verteilung zuständig“, erklärt BLE-Sprecher von Leoprechting. „Im Krisenfall geben die Länder an, wie viel sie brauchen und erhalten dann die Information, wo sie die Nahrungsmittel abholen können.“

Und dann gibt es doch noch vage Hinweise, wo die 150 Lagerhallen angesiedelt sind: „Sie sind über die ganze Bundesrepublik verteilt und meistens in der Nähe von Ballungszentren“, verrät von Leoprechting. Ministeriumssprecherin Jennifer Reinhard wird sogar noch etwas konkreter: Um eine einfache Weiterverarbeitung zu gewährleisten, „wird das Getreide in der Nähe von Mühlen gelagert“.

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