Kommentar zum Besuch der britischen Premierministerin Was May will

Meinung | Berlin · Wann stellt Großbritannien den fälligen Antrag auf Austritt aus der EU? David Cameron hat seinen Posten geräumt, UKIP-Populist Nigel Farage ist zurück in seinem Leben, Ober-Brexitier Boris Johnson ging erst einmal Cricket spielen (ist jetzt aber Außenminister), und die neue britische Premierministerin Theresa May fühlt an diesem Mittwoch bei Angela Merkel vor.

Heute ist gewissermaßen May Day. London, bitte kommen. Einen konkreten Termin oder auch nur einen Zeitraum, wann die von ihr geführte britische Regierung einen Antrag auf Austritt aus der Europäischen Union stellt, wird May bei ihrem Antrittsbesuch in Berlin kaum nennen.

Merkel und May, die zwei Pastorentöchter, müssen sich erst einmal kennen lernen, auch wenn die Bundeskanzlerin in der vergangenen Woche von Kirgistan aus erstmals mit der neuen Frau aus Downing Street 10 telefoniert hat. May muss die Suppe auslöffeln, die ihr Vorgänger David Cameron mit dem Volksentscheid über Verbleib oder Austritt Großbritanniens eingebrockt hat. Cameron hat zur Absicherung seiner innenpolitischen Macht sein Land wie auch Europa in eine bislang historisch beispiellose Situation gebracht. Und ist danach mit einem Liedchen auf den Lippen abgetreten.

May muss nun ganz als Sachwalterin des Mehrheitswillens des britischen Volkes agieren: „Brexit bedeutet Brexit.“ Sie wird also nicht versuchen, einen Ausstieg aus dem Ausstieg zur erklärten Politik ihrer Regierung zu machen. Doch May, Johnson und Brexit-Minister David Davis sollten ihrem Volk auch nicht vorgaukeln, dass Großbritannien, wenn es die EU erst einmal verlassen hat, noch weiter alle Privilegien genießen wird. Der Binnenmarkt in seiner ganzen Freiheit ist ein Markt für Vollmitglieder der EU. Großbritannien wird selbstverständlich ein eminent wichtiger Handelspartner der EU bleiben, aber künftig dann mit Einschränkungen. Auch das ist der Preis eines EU-Austritts.

Bis Großbritannien endgültig aus dem Club der 28 ausgeschieden ist, werden noch einige Jahre und etliche Verhandlungsnächte in Brüssel vergehen. May und ihre Mitstreiter müssen sich vor allem klar werden, wie sie die Beziehungen Großbritanniens mit der EU gestalten wollen, was in der jetzigen Lage alles andere als leicht ist. Merkel und May werden bei ihrem ersten Treffen selbstredend weder Vorverhandlungen führen und erst recht keine Festlegungen treffen, zumal diese bilateral ohnehin keine bindende Wirkung hätten.

Die Herausforderungen dieser Zeit sind gewaltig, und die Abwicklung des Brexit ist nur eine davon. Die Flüchtlingskrise wie auch die Unsicherheit über die Entwicklung des Nato-Partners Türkei werden Merkel und May weiter beschäftigen. Deutschland und Großbritannien brauchen auch hierfür einander. Nicht nur an einem May Day.

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