Kommentar zum Urteil des Verfassungsgerichts in Sachen EZB Späte Erkenntnisse

Meinung | Bonn · Das Verfassungsgericht kommt sehr spät mit seiner Entscheidung, das Anleihekauf-Programm der EZB für ein grundsätzliches Problem zu halten. Dass es das ist, war schon bei der Grundsteinlegung dieser Notmaßnahme klar.

 Wolken ziehen über die Europäische Zentralbank in Frankfurt am Main hinweg.

Wolken ziehen über die Europäische Zentralbank in Frankfurt am Main hinweg.

Foto: dpa

Das Verfassungsgericht kommt sehr spät mit seiner Entscheidung, das Anleihekauf-Programm der EZB für ein grundsätzliches Problem zu halten. Dass es das ist, war schon bei der Grundsteinlegung dieser Notmaßnahme klar. Es war auch klar, dass die Bundesrepublik an die Grenzen ihrer verfassungsrechtlichen Möglichkeiten geht. Denn das Verbot, den Staatshaushalt über die Notenpresse auszugleichen, steckt tief in der historischen Erfahrung Deutschlands und ist im Grundgesetz verankert.

Immerhin ging es bei dieser Entscheidung darum, Europas größte Finanzkrise der jüngsten Jahrzehnte abzuwenden. Die Spekulationen gegen den Euro und gegen einzelne EU-Länder liefen aus dem Ruder und drohten, Europas Finanzsystem zum Einsturz zu bringen. Es ging darum, den Kollaps zu vermeiden.

Die Aufkauf-Politik der EZB stoppte diese Versuche mit Erfolg. Der Preis dafür ist hoch, denn die Folgen der Krise werden auf eine lange Zeit gestreckt und gleich über mehrere Generationen verteilt. Dass es praktisch keine Zinsen mehr gibt, ist eine Enteignung der Sparer und hat Folgen für die Altersversorgung von Millionen Menschen. So zahlen am Ende die wohlhabenden Länder Europas und alle Bürger für die Lösung der Krise mit. Welche politischen Fernwirkungen das hat, ist nicht abzusehen.

Gleichwohl hat diese Politik ihr mittelfristiges Ziel erreicht. Einige Krisenländer wie Irland, Portugal oder Spanien sind aus dem Gröbsten heraus. Selbst Griechenland hat sich berappelt. Angeschlagene Nationen wie Italien oder Frankreich sind nicht komplett eingebrochen. Der Euro ist weitgehend stabil und die Wirtschaft läuft, in Deutschland sogar hervorragend. Kein Land hat von dieser Krise mehr profitiert. Das Aufkauf-Programm ist bis Ende 2017 befristet und wird nach und nach zurückgefahren.

Es bleiben Fragen, die sich vor allem um den Zeitpunkt des Gerichtsspruches und das Verfahren gruppieren. Warum fällt es dem Verfassungsgericht erst so spät auf, dass hier über die Notenbank gesetzwidrig Wirtschaftspolitik betrieben wird? Warum ist erst jetzt zu erkennen, dass Staatshaushalte finanziert werden? Warum kommt das Verfassungsgericht gerade dann zu einer vorsichtigen Einschätzung, wenn die Antworten auf die Fragen eigentlich kaum mehr politische Relevanz haben? Warum reicht das Gericht die Bitte um eine Einschätzung auch noch an den Europäischen Gerichtshof weiter? Das kostet Zeit und baut eine weitere Stufe der Relativierungsmöglichkeit ein. Eine klarere Entscheidung wäre möglich gewesen.

Man kann zu der Einschätzung gelangen, dass die Karlsruher Richter in diese heikle Thematik von Staatsräson und wirtschaftspolitischer Notwendigkeit nur behutsam eingreifen wollen. Das zeugt von politischem Verantwortungsbewusstsein, mehr als von Angriffslust.

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