Kommentar zur WM 2018 in Russland Neue Fußball-Ordnung

Meinung · Sportlich und organisatorisch hat die Weltmeisterschaft in Russland durchaus überzeugt. Deutschland muss sich auf seine Prinzipien besinnen, um auf der Weltbühne wieder eine Rolle zu spielen, und nicht die Schuld bei Randaspekten suchen.

 Lobte die WM in höchsten Tönen- so ist es üblich: Gianni Infantino.

Lobte die WM in höchsten Tönen- so ist es üblich: Gianni Infantino.

Foto: dpa

Wenig überraschend hat Fifa-Chef Gianni Infantino die Endrunde als „beste Weltmeisterschaft überhaupt“ geadelt. Fällt diese Floskel nicht am Ende eines Turniers, dann muss einiges schiefgelaufen sein. Ist es nicht. In aller Welt gab es unbeschwerte Bilder aus Russland zu sehen – und bezogen auf die sportliche Qualität lag der Präsident des Fußball-Weltverbandes vielleicht gar nicht mal so falsch.

Staatschef Wladimir Putin ist die Instrumentalisierung der WM gelungen: Die Hooligans fanden keine Plattform, die Dopingskandale des russischen Sports verschwanden von der Bildfläche. Real existierende Probleme sind damit nicht gelöst, Systemkritiker werden dieser Tage jedoch bestenfalls als unerwünschte Spielverderber wahrgenommen.

Gönnen wir also den Russen den Rausch, der für ihr Nationalteam im Viertelfinale unglücklich endete, was der gesellschaftlichen Aufbruchstimmung in den größeren Städten von Putins Reich keinen Abbruch tat – und freuen uns ein wenig mit ihnen. Zumal es kaum etwas gab, was deutsche Fußballfreunde und Public-Viewing-Enthusiasten begeisterte. Genau genommen: nichts. Der Last-Minute-Treffer von Toni Kroos beim Sieg gegen Schweden blieb der einzige Augenblick kollektiven Freudentaumels. Ein trügerischer.

Seit dem Vorrunden-Aus treten die bislang übertünchten Probleme des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) zutage. Zuvor von den Verantwortlichen in selbstherrlicher Weise ignoriert, vielleicht auch im merkantilen Optimierungsprozess in den Hintergrund geraten, war die profane Erkenntnis, dass am Ende „auf'm Platz“ zählt. Dass sportliche Dominanz stets neu erobert werden muss. Diesen Eindruck nährt die allzu lange demonstrierte Gelassenheit von Bundestrainer Joachim Löw. Ob DFB-Präsident Reinhard Grindel und Sportdirektor Oliver Bierhoff, die zuletzt alle Maßnahmen zum eigenen Machterhalt ergriffen, die richtigen für einen Aufbruch sind, müssen sie bald beweisen.

Die WM 2018 hat die Fußballwelt neu geordnet. Die Deutschen spielen vorerst keine Rolle mehr. Was erst jetzt erkennbar ist: Die WM 2014 war ebenso Höhe- wie Wendepunkt. Es fehlten Alphatiere wie Bastian Schweinsteiger und Philipp Lahm, ein Bodenständiger wie Per Mertesacker – und ein Stimmungsweltmeister à la Lukas Podolski. Führungskräfte.

Das Scheitern auf die unselige Foto-Affäre Özil-Gündogan-Erdogan und die daraus entstandenen Risse im Team zu schieben, greift zu kurz. Erst recht ist das Debakel von Russland kein Grund, Abstand zu nehmen von den Prinzipien, die in Deutschland vom allergrößten Teil der Bevölkerung gelebt werden und für die im besten Sinne auch seine Fußballauswahl steht – wie 2014: Für Respekt vor Gegnern, vorbildlich gerade beim 7:1 gegen Brasilien. Für Leistungsbereitschaft, Teamgeist, Toleranz und Fairness – all das völlig unabhängig von Hautfarbe und religiöser Orientierung.

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