Interview mit Bonner Politiker Jürgen Repschläger über Manipulation bei der Wahl in der Türkei

Bonn · Tausende Wahlbeobachter haben die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in der Türkei am Sonntag überwacht. Darunter: der Bonner Politiker Jürgen Repschläger (Die Linke).

 Jürgen Repschläger, Linke-Politiker, aus Bonn.

Jürgen Repschläger, Linke-Politiker, aus Bonn.

Foto: Benjamin Westhoff

Herr Repschläger, wieso sind Sie nicht als offizieller Wahlbeobachter, zum Beispiel der OSZE, in die Türkei gereist?

Jürgen Repschläger: Wir wollten unabhängig sein. Außerdem gab es eine Warnung der türkischen Behörden an die OSZE, nicht in die kurdischen Gebiete zu fahren. Wir haben uns diese Region ausgesucht, weil sie sonst ein weißer Fleck auf der Karte gewesen wäre.

Wie waren Ihre Eindrücke?

Repschläger: Wir waren ganz weit im Südosten der Türkei, unweit der syrischen Grenze. Das war im negativen Sinne sehr eindrucksvoll. Südostanatolien gehört zwar zur Türkei, aber es sah aus wie in einem besetzten Land. Überall Straßensperren, alle paar Minuten Kontrollen, Panzer, Fahrzeuge mit aufgepflanzten Maschinenpistolen, Polizeineubauten, das Militär mitten in der Stadt. Das war von der Atmosphäre her ausgesprochen bedrückend. Es war erstaunlich festzustellen, wie die Menschen dort mittlerweile souverän und gewohnt damit umgehen. Für uns war das natürlich etwas anderes.

Gab es auch in den Wahllokalen selbst Militärpräsenz?

Repschläger: Meistens waren es Schulen, in denen die Wahllokale sich befanden. Die wimmelten nur so von Polizei, teilweise Gendarmerie und Militär. Es gibt das sogenannte 50-Meter-Gesetz, wonach bewaffnete Kräfte mindestens 50 Meter weit von den Wahlurnen entfernt sein müssen und Uniformierte auch gar nicht im Wahlraum sein dürfen. Das wurde missachtet. Teilweise wurden die Menschen von aggressiven AKP-Anhängern aufgefordert offen zu wählen. AKP-Wahlkämpfer sind mit bewaffneten Leibwächtern durch die Wahllokale gezogen, haben Leute eingeschüchtert und offensiv aufgefordert, Erdogan zu wählen. In einem Fall war es sogar ein AKP-Mitglied, Ibrahim Yildiz, dessen Bruder letzte Woche bei einer Schießerei zwischen Anhängen der AKP und HDP gestorben ist.

Wie sind Sie am Wahltag konkret vorgegangen?

Repschläger: Wir sind in die ersten zwei Schulen reingegangen, auch in die Wahlräume. Danach wurde uns das untersagt. Dann ging so eine Art Katz-und-Maus-Spiel los: Wir haben ein, zwei Schulen besucht, haben uns wieder zurückgezogen, sind dann wieder losgezogen. Ab mittags sind wir nicht mehr in die Schulgebäude rein gegangen, auch nicht mehr auf das Schulgelände, weil sonst unmittelbar Verhaftung gedroht hätte. Gegen Abend hat eine Richterin bei uns angerufen und gesagt: 'Wenn ihr noch einmal vor die Tür geht, nehmen wir euch fest.'

Wie hat Ihre Gruppe reagiert?

Repschläger: Wir sind nicht mehr rausgegangen. Das war allerdings etwa 20 Minuten vor Schließung der Wahllokale, so dass uns das nicht mehr besonders genervt hat.

Ein Teil ihrer elfköpfigen Delegation ist tatsächlich verhaftet worden. Wie ist es dazu gekommen?

Repschläger: Wir waren ursprünglich zu neunt, in der Provinz Sirnak haben wir uns in drei Gruppen aufgeteilt. Eine Gruppe mit zwei Kölnern und einer Frau aus Halle reiste in eine Bergregion, diese ist genauso wie wir immer wieder kontrolliert worden. Bei einer Kontrolle hat die Polizei gesagt, sie müssten zur Überprüfung einiger Hintergründe mit auf die Wache. Das haben sie gemacht und sind überhaupt nicht von einer Verhaftung ausgegangen. Auf der Wache schien es eine ganze Zeit so, also dürften sie irgendwann wieder gehen. Aber dann hieß es: 'Wir müssen noch irgendwelche Vorwürfe prüfen, Sie bleiben jetzt hier und werden morgen früh einem Untersuchungsrichter vorgeführt.'

Die Begründung war, dass sie die Wahl behinderten – haben Sie sich doch etwas zu Schulden kommen lassen?

Repschläger: Nein, überhaupt nicht.

Sind die drei noch inhaftiert?

Repschläger: Sie sind um die Mittagszeit wieder freigelassen worden. Sie fahren uns jetzt im Bus hinterher und Montagabend treffen wir uns in Diyabakir wieder.

Was hat es mit der Verlegung der Wahllokale in den Kurdengebieten auf sich?

Repschläger: In den letzten Wochen sind in den Gebieten mit hohem kurdischen Bevölkerungsanteil und hohem HDP-Stimmenanteil Urnen in andere Städte – teilweise bis zu 60 Kilometer weit weg – verlegt worden, um die Anreise zu erschweren. Sie sind auch in Gebieten mit hohem AKP-Stimmenanteil aufgestellt worden, um eine psychologische Hürde aufzubauen, dorthin zu gehen. Im Vorfeld ist eine Politik gefahren worden, die eine Stimmabgabe dort erschwert oder unmöglich gemacht hat.

Wie lautet Ihr Fazit?

Repschläger: Es ist auf gar keinen Fall mit rechten Dingen zugegangen. Ich würde schon sagen, dass die AKP und Erdogan in der Tat die meisten Stimmen bekommen haben, aber nicht so viele, wie angegeben wird. Bei Wahlen, wo das Militär mit gezogener Waffe neben der Urne steht, kann man nicht von demokratischen Wahlen reden. Es hat auch in den Tagen vor der Wahl noch mal eine Verhaftungswelle gegen Wahlhelfer der HDP gegeben. Die Ergebnisse sind mit Sicherheit kosmetisch bearbeitet worden, möglicherweise auch, um bei der Präsidialwahl Erdogan über die 50 Prozent zu hieven und eine Stichwahl zu verhindern.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort