Kommentar zum Brexit-Chaos Im Lala-Land

Meinung | London · Bei den nächsten Wahlen wird die britische Premierministerin Theresa May nicht mehr an der Parteispitze der Konservativen stehen. Dass diese erst 2022 stattfinden sollen, wirkt angesichts der Tumulte in Westminster beinahe utopisch, kommentiert Katrin Pribyl.

Es war ein schmerzhafter Sieg, den Theresa May am Mittwochabend errungen hat. Zwar überstand sie das Misstrauensvotum, mit dem die Rebellen in der konservativen Fraktion die Premierministerin stürzen wollten. Doch ein Drittel der Abgeordneten entzog der Regierungschefin das Vertrauen. Wie will sie so den mit Brüssel ausgehandelten Brexit-Deal im Parlament durchsetzen? Überhaupt: Wie will sie in naher Zukunft regieren?

May ist so gut wie handlungsunfähig – eine lahme Ente in einem stählernen Käfig. Denn ein Jahr lang ist sie nun unangreifbar, kann von ihrer Fraktion nicht mehr herausgefordert werden. Dass sie freiwillig geht, scheint ausgeschlossen.

Unverwüstlich und stur trotzt die Konservative seit der verpatzten Wahl 2017 allen Angriffen auf ihre Position, Politik und Person. Dabei hat sie sich mittlerweile etliche Fehler geleistet und damit ihre Fraktion gegen sich aufgebracht – zuletzt, als sie das Parlamentsvotum über das Austrittsabkommen aus Sorge vor einer krachenden Niederlage kurzerhand absagte. Große Teile der Partei schäumten zurecht vor Wut. Das Problem: May lieferte keinen Plan B, brach stattdessen zu einer Charme-Offensive in Richtung Kontinent auf. Aber die EU wird das Vertragspaket nicht noch einmal aufschnüren. Auf der Insel ignoriert man solche Aussagen hartnäckig. Dass die rebellischen Konservativen angesichts der Herausforderung Brexit und im Moment der nationalen Krise eine Misstrauensabstimmung auslösten, ist unverantwortlich, egoistisch und arrogant dazu. Einmal mehr standen Ambitionen Einzelner über dem Wohlergehen des Landes. Der Großteil der Bevölkerung blickt angewidert auf die innerparteiliche Zerfleischung der Tories. Die gehen so schonungslos wie keine andere Partei mit ihren Vorsitzenden um, wenn diese nicht in ihrem Sinne liefern. Und von May hatten die glühenden Hardliner nichts weniger erwartet als einen EU-Austritt ganz in ihrem von Ideologien verblendeten Sinne. Sie haben es sich im Lala-Land gemütlich gemacht, in dem sie vom 19. Jahrhundert träumen. Kompromisse? No way.

Nun musste May den Parteikollegen im Vorfeld des Votums versprechen, in ferner Zukunft zu gehen, um für heute bleiben zu können. Bei den nächsten Wahlen wird sie nicht mehr an der Parteispitze stehen. Dass diese erst im Jahr 2022 stattfinden sollen, wirkt angesichts der Tumulte in Westminster beinahe utopisch. Es könnte nämlich ausgerechnet eine Neuwahl sein, die den Stillstand des gelähmten Parlaments aufbricht – oder ein zweites Referendum. Die Situation jedenfalls hat sich nach dieser chaotischen Woche weder verändert noch entspannt. Bis spätestens zum 21. Januar muss das Parlament über den Brexit-Deal abstimmen. Nach heutigem Stand benötigt Theresa May für einen Sieg ein politisches Wunder.

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