Austellung "Bestandsaufnahme Gurlitt" in Bonn Der NS-Kunstraub und die Folgen

Bonn · Die Bonner Bundeskunsthalle gibt erste Einblicke in die am 3. November startende Ausstellung „Bestandsaufnahme Gurlitt“.

 Ein Mitarbeiter deckt in Bonn das Werk „Männlicher Akt“ von Francois Boucher mit Seidenpapier ab.

Ein Mitarbeiter deckt in Bonn das Werk „Männlicher Akt“ von Francois Boucher mit Seidenpapier ab.

Foto: dpa

Das Herzstück der Bundeskunsthalle in Bonn ist normalerweise für die Öffentlichkeit tabu. Am Dienstag jedoch öffnete sich die Tür zum Gemäldedepot für die Medien. Anlass: Die Bundeskunsthalle gab erste Einblicke in die am 3. November startende Ausstellung „Bestandsaufnahme Gurlitt. Der NS-Kunstraub und die Folgen“.

Kunsthallenchef Rein Wolfs und seine Kollegen präsentierten erstmals Werke aus dem rund 1500 Objekte umfassenden „Kunstfund Gurlitt“ in München und Salzburg, darunter ein Gemälde von Claude Monet und eine Skulptur von Auguste Rodin. Durch die Ausstellung in Bonn von insgesamt 250 Arbeiten – Gemälden, Zeichnungen, Grafiken und Skulpturen – aus dem Besitz des Münchner Sammlers Cornelius Gurlitt erhoffe man sich unter anderem neue Hinweise über deren bislang ungeklärte Herkunft, sagte Wolfs. Der im Mai 2014 verstorbene Sammler hatte die Werke von seinem Vater, dem Nazi-Kunsthändler Hildebrand Gurlitt, geerbt.

Cornelius Gurlitt arrangierte die Kunstwerke in seiner Wohnung in München und in seinem Haus in Salzburg nicht wie ein Sammler, er lagerte sie wie in einem Depot. Claude Monets „Waterloo Bridge“ aus dem Jahr 1903 ist das nicht gut bekommen. Das Ölgemälde, neben dem Rein Wolfs seine Eröffnungsworte sprach, war in Salzburg Feuchtigkeit ausgesetzt und „komplett verschimmelt“, wie Chefrestauratorin Ulrike Klein verriet.

Die „Waterloo Bridge“ hat sich erholt, sieht aber heute aufreizend unspektakulär aus. Zum Vergleich: Rodins „Kauernde (ca. 1882), die „zeitmüde“ (Kuratorin Agnieszka Lulinska) und schmutzig aufgefunden wurde, entfaltet jetzt wieder ihre den Betrachter fesselnde Wirkung. Es geht den Bonner Ausstellungsmachern allerdings nicht darum, mit Meisterwerken aufzutrumpfen, mit einem Best-of-Gurlitt das Publikum einzufangen. Das Anliegen ist viel ernsthafter.

Zusammen mit der Stiftung Kunstmuseum Bern, die Gurlitt testamentarisch als Alleinerbin eingesetzt hatte, will die Kunsthalle ein düsteres Kapitel der Kunstgeschichte beleuchten. Im Zentrum des Interesses stehen die Provenienzforschung sowie der NS-Kunstraub und die Folgen. In Bern startet am 2. November die Schau „Bestandsaufnahme Gurlitt. ,Entartete Kunst' – Beschlagnahmt und verkauft“.

Wolfs sagte, seine Ausstellung werde auch die Schicksale der verfolgten, meist jüdischen Kunsthändler und Sammler spiegeln: „Wir wollen die Menschen zeigen, die hinter den Werken stehen.“ In Bonn werden „Opferbiografien“ erzählt. Die Bundeskunsthalle stellt den Raum, in dem sich die Ergebnisse des Projekts Provenienzrecherche am Zentralinstitut für Kunstgeschichte München und des Forschungsprojekts „,Sonderauftrag Ostmark'. Hitlers Kunstraub- und Museumspolitik in Österreich“ darstellen lassen.

Hildebrand Gurlitt war kein Einzelfall, sondern repräsentativ für das System der staatlich organisierten illegalen Aneignung von Kunstwerken in Deutschland, Österreich und dem besetzten Frankreich. Dieses System machen Bonn und Bern begreifbar. In der Bundeskunsthalle werden die Kunstwerke derzeit „ausstellungsfertig“ gemacht. Das erfordert 1000 Stunden Arbeit, prognostizierte Ulrike Klein.

Auch François Bouchers „Männlicher Akt“ (Kohle und Pastellkreide auf Papier) soll in einen „würdigen Zustand“ versetzt werden. Der Akt kam am Dienstag frisch aus der Presse, er litt unter einem Knick. Ein „Weiblicher Rückenakt“ von Aristide Maillol (Rötel auf Papier), der uns auch gezeigt wurde, musste danach in die Klimakammer. Den Akt umrahmte früher ein säurehaltiges Passepartout.

Es waren viel Vorfreude und Entdeckerlust spürbar im Gemäldedepot. Und natürlich detektivischer Ehrgeiz. Meike Hopp, Münchner Provenienzforscherin, arbeitet sich durch den schriftlichen Nachlass der Gurlitts. Das bedeutet mehrere Zehntausend Seiten und Tausende Fotos. Sie werden in der historisch gegliederten Ausstellung eine Rolle spielen. Gespiegelt wird die Zeitspanne vor dem Ersten Weltkrieg bis zu den Jahren nach 1945.

Es wird sich zeigen, wie viele Fälle von Raubkunst im November verifiziert sein werden. Bisher wurden erst sieben Werke als Raubkunst identifiziert und teilweise an die rechtmäßigen Besitzer zurückgegeben. „Erst bei gut einem Drittel der Gurlitt-Werke ist die Herkunft ermittelt“, sagte Kuratorin Agnieszka Lulinska. Am Beispiel des Kupferstichs auf Büttenpapier „Ritter, Tod und Teufel“ von Albrecht Dürer (1513) zeigte Kurator Lukas Bächer auf, wie schwierig es ist, das Werk seinem ehemaligen Besitzer zuzuordnen. Ein Stempelabdruck auf der Rückseite liefert die einzige Spur.

Die „Bestandsaufnahme Gurlitt“ wird Folgen haben. Ab September 2018 soll das Bonn-Berner Projekt im Martin-Gropius-Bau in Berlin präsentiert werden. Anschließend – so hoffen die Kuratoren – geht es dann auf weltweite Wanderschaft.

„Bestandsaufnahme Gurlitt. Der NS-Kunstraub und die Folgen“: 3. November 2017 bis 11. März 2018 in der Bundeskunsthalle. Zur Ausstellung erscheint im Hirmer Verlag das Begleitbuch „Dossier Gurlitt“. Die Berner Schau „Bestandsaufnahme Gurlitt: ,Entartete Kunst' – Beschlagnahmt und verkauft“ läuft vom 2. November 2017 bis 4. März 2018.

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