Vorratsdatenspeicherung Bayerns geplantes Psychiatrie- und Polizeigesetz polarisiert

BERLIN · In Bayern sollen die Daten von psychisch Kranken bald auch der Polizei zugänglich gemacht werden. Das geplante Psychiatrie- und Polizeigesetz sorgt für Staunen – und Empörung.

 Polizisten und Statisten bei einer Großübung am Münchner Hauptbahnhof am 18. April. FOTO: DPA

Polizisten und Statisten bei einer Großübung am Münchner Hauptbahnhof am 18. April. FOTO: DPA

Foto: picture alliance / Sven Hoppe/dp

Die Wahl gewinnen. Härte zeigen. Gegen Straftäter – und gegen psychisch Kranke. Und als Zugabe: Kompetenzen für die Polizei, wie es sie in Deutschland seit 1945 nirgendwo mehr gegeben hat. Wo das geht? In Bayern. Der Rest der Republik staunt mit offenem Mund: Gibt's doch gar nicht. Die Fraktionschefin der Grünen im Bayerischen Landtag, Katharina Schulze, sagt: „Die CSU befindet sich im Überwachungsrausch.“

Das geht sogar so weit, dass man es in Bayern mit der Polizei zu tun bekommen könnte, wenn man schwer krank wird, psychisch krank. Gustl Mollath könnte dazu seine Geschichte erzählen und das geplante neue bayerische Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz wie eine Blaupause auf seinen Fall legen. Mollath ist ein besonders prominentes Opfer der bayerischen Justiz, dessen Fall es zu bundesweiter Bekanntheit gebracht hat. Seit Sommer 2014 ist Mollath freigesprochen, wenn auch nicht voll rehabilitiert. Der heute 61-Jährige saß über Jahre wegen mehrerer ihm angelasteter Delikte bei gleichzeitig durch Gutachter festgestellter Schuldunfähigkeit – unschuldig – im psychiatrischen Maßregelvollzug in Bayreuth ein.

Der Fall Mollath taugt für ein Schlaglicht auf jüngste Pläne der Landesregierung für ein Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz, von dem Kritiker sagen, es sei schon zynisch, dass in dem Titel das Wort „Hilfe“ überhaupt vorkomme. Würde der Entwurf in seiner ursprünglichen Fassung umgesetzt – wozu es nach massiven Protesten nun wohl nicht mehr kommen wird –, könnten nach Überzeugung seiner Kritiker depressive Menschen künftig nach Regeln, die bisher nur für Straftäter galten, in psychiatrischen Abteilungen von Krankenhäusern festgesetzt werden. Womit man wieder beim Fall Mollath wäre.

Der Bundesverband der Vertragspsychotherapeuten ebenso wie der Deutsche Psychotherapeutentag waren gegen den Gesetzentwurf auf die Barrikaden gegangen. Demnach sollten – man glaubt es kaum – die Daten von psychisch kranken Menschen (vom Namen bis zur Diagnose) für fünf Jahre in einer Zentraldatei gespeichert, auf die dann wiederum die Polizei im Freistaat zugreifen kann. Kurz: Bayern hätte psychisch Kranke wie Gefährder behandelt. Oder wie Straftäter. Anders ausgedrückt: Der Umgang mit Menschen aus der psychiatrischen Forensik, also dort, wo psychische kranke Straftäter untergebracht sind, wollte die bayerische Landesregierung tatsächlich auf die Allgemeinpsychiatrie übertragen. Auf Menschen also, die depressiv sind oder Wahnvorstellungen haben, aber eben keine Straftäter sind. Doch davon ist die Regierung von Ministerpräsident Markus Söder, der am 14. Oktober bei der Landtagswahl die absolute Mehrheit der CSU verteidigen will, wohl wieder abgerückt. Zu viel Protest ist nicht gut für die Stimmung in einem Wahljahr. Die sogenannte Unterbringungsdatei soll nun aus dem Gesetzentwurf gestrichen werden.

Doch auch das geplante neue Polizeiaufgabengesetz hat das Zeug zum Volksaufreger. Wenn die Novelle, gegen dessen erste Fassung die Grünen im Freistaat schon vor dem bayerischen Verfassungsgerichtshof Klage eingereicht haben, Wirklichkeit würde, würde der Gesetzgeber der Landespolizei erlauben, tief in Grundrechte der Bürger einzugreifen – und zwar lange bevor überhaupt Gefahr besteht.

Bayerische Polizisten, Fahnder und Ermittler dürften dann – ohne konkreten Verdacht – Telefone abhören, Post beschlagnahmen, Daten auslesen, mit Drohnen filmen und Polizisten mit Bodycams an fast jedem Ort einsetzen. Mehr wären die Grundrechte von Bürgern durch kein anderes Polizeigesetz der Nachkriegszeit geschleift worden. Dabei gerät Innenminister Joachim Herrmann regelrecht ins Schwärmen, wenn er über das „effektivste Polizeirecht in ganz Deutschland“ spricht. Herrmann will von Panikmache – von wegen Überwachungsstaat – nichts wissen. Er nennt die Befugniserweiterung „maßvoll“. Schließlich gehe es darum, Gefährdern das Handwerk zu legen.

Wie gegen das Psychiatriegesetz formiert sich auch gegen das neue Polizeigesetz breiter Protest. Bis ins Stadion. „Nein zum Polizeiaufgabengesetz“, prangte ein Transparent beim jüngsten Bundesligagipfel Bayern gegen Dortmund. Im Bayern-Fanblock. Vielleicht hilft es. Auf breiten Volksprotest hat die Volkspartei CSU noch meistens reagiert.

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